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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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fing an zu kauen. Fanut zog ihm die Felljacke von der Schulter und tastete diese vorsichtig ab. Der Junge stöhnte und versuchte ein leises Greinen.
    »Ganz ruhig. Gleich spürst du nichts mehr.«
    Ich sah, wie der Junge schläfrig wurde. Die Frau schnappte aufgeregt nach Luft. Zwei andere waren neben sie getreten und hatten ihr die Arme beruhigend auf die Schulter gelegt. Sie beobachtete Fanut misstrauisch. Ihre Erregung steigerte sich. Dann riss sie sich los.
    »Was soll das denn werden?« kreischte sie. »Er tanzt ja gar nicht. Er muss doch tanzen. Wie will er denn den Geist aus dem Arm vertreiben, wenn er nicht tanzt? So geht das doch nicht. So doch nicht.«
    Sie wandte sich an die Umstehenden.
    »Warum geht denn keiner zu Ojun. Der da macht doch gar nichts.« Sie wies auf Fanut.
    »Ojun tanzt auch nicht immer.«
    Der gleiche, der schon vorher für Fanut Partei ergriffen hatte, meldete sich zu Wort. Jetzt sah ich auch, wer es war. Ich kannte ihn vom Fest her. Es war der hünenhafte mit dem leichten Bauchansatz.
    Fanut kümmerte sich nicht um das, was um ihn herumgeschah. Er beobachtete den Jungen, griff plötzlich nach seinem Arm, stemmte ihm sein Knie in den Rücken und bog ihn heftig nach hinten. Es gab ein leises, knackendes Geräusch. Die Frau schrie erschrocken auf. Der Junge stöhnte kurz. Dann entspannte sich sein Gesicht. Er bewegte den Arm vorsichtig und lachte erleichtert. Fanut band ihm den Oberarm mit einem Riemen an die Brust. Dann sprach er eindringlich:
    »Du darfst ihn drei Tage nicht bewegen, sonst wird es immer wieder passieren.«
    Stolz wandte er sich dann an die Umstehenden.
    »Ihr habt es gesehen. Ich bin ein Schamane.«
    Die Mutter mit der zerzausten Frisur lamentierte fassungslos vor sich hin:
    »Aber er hat doch gar nicht getanzt. Er muss doch tanzen.«
    Dann stürzte sie zu ihrem Sohn, der ihr schläfrig entgegensah.
    »Er wird jetzt schlafen«, sagte Fanut. »Es ist die Pflanze.«
    Er stellte auf Schamanenart einen leeren Korb in die Nähe der Frau und zog sich ein paar Schritte zurück, um auf ein Geschenk zu warten, wie es die gute Sitte gebot.
    Ich stellte allerdings Überlegungen an, ob es wirklich der guten Sitte entsprach, wenn er als ein Schamane, der eigentlich kein richtiger, sondern ein falscher Schamane war, ein Geschenk für eine Behandlung erwartete, die gar keine schamanischen Handlungen beinhaltete, sondern nur eine mechanische, die er an dem Schultergelenk des Jungen vollzogen hatte und eine pharmazeutische, durch die Verabreichung des betäubenden Blattes. Ich konnte dieses ethische Problem im Augenblick nicht alleine lösen und beschloss bei Gelegenheit den alles wissenden Ojun darüber zu befragen. Der Anblick des Blattes hatte mich an die weise Homöopatha erinnert und damit auch an Yrsig. Ich gedachte mich deshalb mit den Wäldern der Umgebung etwas vertraut zu machen, um Nahrungsmittel zu sammeln und vielleicht mit ein wenig Glück dir zu begegnen.
    Ich ließ also die sich auflösende Versammlung hinter mir und lenkte meine Schritte in Richtung der heißen Quelle.
    Ich hatte es nicht eilig. Ich hatte auch kein bestimmtes Ziel. Ich sah nur eine Möglichkeit, Yrsig vielleicht zu begegnen. Des halb zog es mich in jene Richtung. Der Tau auf den Gräsern fing gerade an, sich zu verflüchtigen. Auf meinen Schultern fühlte ich die wärmenden Strahlen der Sonne. Ich verfiel in einen leichten Trab und folgte den gewundenen Spuren eines Rentierpfades zum Waldrand. Zwischen den Bäumen herrschte Stille. Ich verließ den Pfad und folgte meiner Eingebung. Sie führte mich kreuz und quer zwischen Gebüsch und Bäumen hindurch, über hügeliges Gelände, zu einem sumpfigen Weiher, über dessen schwarzer Wasserfläche bunte Libellen in der Sonne tanzten. Ein Entenpaar flog auf und verschwand im Schilf am anderen Ufer. Das Knattern der Flügel und das Rascheln im Schilf zerstörten die Stille. Ich blieb am Ufer des Gewässers stehen und hockte mich auf die Fersen. Ich saß gerne so, um über das Wasser zu blicken und meine Gedanken schweifen zu lassen, bis mir die Augen vom grellen Blinken des Lichtes brannten. Die Enten waren zur Ruhe gekommen. Nur das leise Flirren eines zarten Windhauchs in den Blättern war noch zu hören. Ich fühlte ein großes Behagen in mir und wurde eins mit meiner Umgebung. Da machte mich ein anderes Geräusch aufmerksam. Ein Knacken. Ein gleichmäßig sich wiederholendes Knacken drang zu mir. Es hörte sich fremdartig und störend an. Es kam von keinem
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