Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist
Autoren: Rose M J
Vom Netzwerk:
konnten.
    Vielleicht aber mochte er Wien auch nicht, weil er selbst hier versagt hatte.
    Er war hierhergereist, um Dr. Malachai Samuels festzunehmen. Laut der Anklage hatte der im letzten Jahr antike Steine von einer archäologischen Grabungsstätte in Rom gestohlen. Samuels war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Reinkarnationstherapie und ein Hobbyzauberer. Er hatte alle Beweise verschwinden lassen, und bisher war es weder Interpol noch dem FBI gelungen, ihn irgendwie mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Und dann war der Agent in Wien in einbizarres Ereignis im berühmtesten Konzertsaal der Stadt, dem „Musikverein“, verwickelt worden: Gemeinsam mit fast tausend anderen Zuhörern hatte er bei einer Aufführung von Beethovens Eroica eine Halluzination erlebt. Bis jetzt hatte niemand wirklich erklären können, was geschehen war. Musik konnte erregend sein, sicher, und Musik konnte einen Zuhörer in einen Zustand außergewöhnlicher Entspannung versetzen. Doch konnte sie auch Menschen in eine hyperreale Fantasiewelt in einer anderen Zeit und an einen anderen Ort katapultieren? Sie in ein anderes Leben eintauchen lassen, das vorbei und vergessen gewesen war?
    Sowohl in der amerikanischen wie der internationalen Presse wurde immer noch das Gerücht wiedergegeben, eine Anomalie im Ultraschallbereich hätte den Vorfall ausgelöst, der als eine durch Massenhypnose ausgelöste Regression in die Vergangenheit gedeutet wurde. Der Agent war Realist, deshalb hoffte er, die Behörden würden bei ihren Tests der Luft in dem Konzertsaal Hinweise auf einen biochemischen Angriff finden. Eine solch eindeutige Erklärung wäre ihm am liebsten. Er weigerte sich, zu akzeptieren, dass das, was er während des Konzerts erlebt hatte, wirklich die Erinnerung eines Menschen gewesen sein sollte, der vor hundert Jahren gelebt hatte. Diese Geschichte, in der Menschen aus der Gegenwart in einer imaginierten Vergangenheit auftauchten, musste sich sein Unterbewusstsein ausgedacht haben. Es gab Hunderte von Schmerzmitteln, die Wahnvorstellungen und Halluzinationen auslösten. Als er jünger war, hatten seine Ärzte ihm etliche davon verschrieben. Wenn man unter Drogen stand, war alles möglich.
    Ein Mann mittleren Alters mit einem Einkaufsnetz in der Hand und einem weinroten Schirm unterm Arm eilte an ihm vorbei. Er warf dem Agenten nur einen kurzen Blick zu. Gut so. Der Agent hatte seine Kleidung mit Bedacht gewählt, und er verhielt sich so, dass niemand auf den Gedanken kommenkönnte, er hätte etwas mit der Polizei zu tun. Das schwarze Hemd, Jeans und die Lederjacke, die längeren Haare – zuletzt hatte er ungefähr so während seiner Studentenzeit ausgesehen. Nur waren die Klamotten heute teurer.
    Vor dem Haus mit der Nummer 122 blieb er stehen. Ein Schild an dem schlichten Gebäude verriet, dass hier die „Toller Archäologiegesellschaft“ untergebracht war. Er klingelte. Wenige Augenblicke später wurde er in eine kleine Lobby eingelassen, wo eine etwa fünfzigjährige Frau auf ihn wartete. Dr. Erika Aldermann trug ein formloses, altmodisches Kleid, das ziemlich verknittert war. Sie begrüßte ihn in steifem Ton, dann öffnete sie eine zweite Tür, die er von der Straße aus nicht hatte sehen können, und führte ihn tiefer in das Gebäude.
    Er hatte Dr. Erika Aldermann gestern beim Begräbnis des Mannes kennengelernt, wegen dem Malachai Samuels nach Wien gereist war. Ihre Trauer hatte sich so echt angefühlt, dass der Agent sie nicht nach den Ereignissen der letzten Tage hatte fragen wollen. Das Begräbnis war dafür weder der geeignete Ort noch der richtige Zeitpunkt. Und was konnte er überhaupt noch von ihr in Erfahrung bringen? Samuels war von dem Moment an, als er in Wien angekommen war, observiert worden. Zwar war er drei Mal hier gewesen, doch gab es keinen Hinweis, dass er etwas mit dem Tod seines Kollegen zu tun haben könnte. Es hatte den Agenten überrascht, als Dr. Aldermann ihn nach der Begräbnisfeier ansprach. Ihre Stimme war rau, als hätte sie über viele Stunden heftig geweint. Flüsternd bat sie den Agenten, vor seiner Rückkehr in die USA noch einmal vorbeizukommen. Sie hätte etwas, das sie ihm zeigen wolle.
    Er folgte ihr und trat durch einen Torbogen. In den Fries über ihm waren Buchstaben gehauen, die die wahre Bedeutung des Geheimbunds verrieten. Im Gegensatz zum unauffälligen Äußeren des Gebäudes eröffneten sich nun extravagant ausgestattete Innenräume seinem Blick. Während Dr.  Aldermann ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher