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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist
Autoren: Rose M J
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aus den Fingern.
    Die Statue wurde mit hoher Geschwindigkeit schwankend nach unten gelassen. Dann pendelte sie sich ein und landete mit einem dumpfen Geräusch. Holz auf Metall, vermutete Lucian dem Klang nach. Das Knattern des Hubschraubers wurde leiser. Metalltüren fielen mit einem lauten Knall ins Schloss. Dann wurde alles schwarz.
    Wo war er? Lucian konnte die Hand nicht mehr vor den Augen sehen. Er hörte nur gedämpft Stimmen, die sich unterhielten. Dann sprang ein Motor an und heulte laut und wütend auf. Sie setzten sich in Bewegung. Lucian versuchte sichvorzustellen, was passiert sein könnte. Der Hubschrauber war zu einem Treffpunkt in der Nähe geflogen, der sich wahrscheinlich irgendwo im Park befand. Dort hatte er sie wohl auf einem wartenden Fahrzeug abgesetzt. Wie weit war es bis zum nächsten Ziel der Männer? Wie viel Zeit hatte er, bis sie es erreichten? Er durfte keine Sekunde länger warten. Lucian ließ sich auf die Knie fallen und tastete den Boden nach der Kugel ab. Was, wenn sie tief in einer Ritze feststeckte? Oder womöglich aus der Statue herausgefallen war? Vielleicht hatte er das Objekt nur gefunden, um es gleich darauf wieder zu verlieren.
    Da spürte er eine glatte rundliche Oberfläche, und er schloss die Finger fest um die Kugel. Im Dunkeln konnte er das kostbare Artefakt nicht sehen, doch er wusste genau, was er in der Hand hielt. Es war ein Augapfel, den ein Bildhauermeister geschaffen hatte und der das Dritte Auge des visionären Hypnos darstellte.
    Dr. Bellmer hatte das Dritte Auge als Eingang ins Unbewusste beschrieben, als ein Portal, durch das man zu den Erinnerungen aus lange vergangenen, früheren Leben gelangte. War dieses Dritte Auge das Erinnerungswerkzeug, nach dem Frederick L. Lennox gesucht hatte? War es der magische Talisman, den der Priester der Schule des Pythagoras im Innern des Hypnos hatte verbergen wollen?
    Lucian legte die Kugel wieder in den Lederbeutel. Was sollte er damit tun? Er wusste nicht, wohin der Laster die Statue brachte und wer sie am Ende dieser Fahrt in Empfang nehmen würde. Er hob den Arm und wollte den Beutel schon wieder zurück in das Holzfach legen, wo er ihn gefunden hatte. Die Kugel war seit mehr als zweitausend Jahren dort verborgen gewesen, und wenn die vor ihnen liegende Nacht so gefährlich wurde, wie Lucian vermutete, dann war das Dritte Auge des Hypnos in dem alten Versteck am sichersten. Doch was, wenn er nicht mehr an die Statue herankam und die Kugel holen konnte?
    Lucian zog den Arm zurück und steckte den Beutel in die Tasche. Hypnos bewegte sich wieder, Ächzen und Stöhnen war zu hören und die scharfen Anweisungen eines Mannes, der mit einem persischen Akzent sprach. Die Träger setzten die Skulptur auf festem Boden ab. Lucian nahm an, dass sie das Endziel erreicht hatten, oder zumindest den Ort, an dem die Statue für eine Weile gelagert wurde. Er stand aufrecht im dunklen Innern des Hypnos und wartete. Worauf er wartete, wusste er selbst nicht so recht.
    Nach ein paar Minuten schickte der Mann, der gerade Befehle erteilt hatte, seine Männer weg. Schritte dröhnten auf dem Holzfußboden. Türangeln quietschten. Der Motor eines Lasters heulte auf.
    Lucian zog seine Glock aus dem Schulterholster. Außerhalb der Statue war nichts zu hören. War keiner der Männer zurückgeblieben? Dann hörte er ein leises Geräusch … War es der Schritt eines Menschen gewesen? Oder huschte eine Ratte durch das verlassene Gebäude? Er sollte lieber noch warten und erst aus seinem Versteck klettern, wenn er ganz sicher war. Nichts rührte sich mehr. Lucian beschloss, dass niemand mehr da war. Und dann, gerade als er die Holzpaneele öffnen wollte, hörte er ein mechanisches Klicken. Jemand tippte eine Telefonnummer in ein Handy ein. Im nächsten Moment dröhnte eine tiefe Stimme durch den weiten Raum.
    „Wen rufst du an?“
    „Dich“, erwiderte eine Stimme, die Lucian bekannt vorkam. „Ich wollte dich anrufen, um dir Bescheid zu geben. Alles hat geklappt. Die Statue ist hier.“
    „Ausgezeichnet.“ Schritte waren zu hören, jemand ging um die Statue herum. „Das ist also der Gott des Schlafes, der Bruder des Gottes des Todes. Damit haben wir diesen unangenehmen Auftrag fast hinter uns. Ich muss sagen, ich bin wirklich froh, wenn wir dieses … wenn wir dieses Ungetüm los sind und die Statue sich auf dem Weg in unser Land befindet.“
    Mit einem Schlag wurde Lucian alles klar: Hinter dieser Entführung des Hypnos steckte nicht Shabaz
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