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Der Verlobte

Der Verlobte

Titel: Der Verlobte
Autoren: Christine Sylvester
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Halshöhe.
    »Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Tillmann. Er war zu beschäftigt damit, die beiden Hunde argwöhnisch zu beobachten, um das merkwürdige Gerede von diesem Bert sogleich zu entwirren. »Was soll denn mit Paul sein?«
    Bert zuckte die Achseln. »Nun ja, Paul ist noch immer nicht aufgetaucht, und eines der Autos ist ebenfalls verschwunden …«
    »Und Sie meinen, das bedeutet –?« Tillmann verstummte, da die Großmutter hereinkam. Ihre Gegenwart beruhigte ihn angesichts der beiden Hunde ungemein. Das schwarze Regencape und die Gummistiefel minderten ihr würdevolles Auftreten nicht im Geringsten.
    »Als ob dieses Wetter nicht mörderisch genug wäre«, sagte die alte Dame, tätschelte die beiden riesigen Hundeköpfe und legte seufzend ihr Cape ab. »Wirklich kein schöner Anblick, die arme Veronika! Mausetot.«
    »Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Tillmann.
    Die Großmutter schüttelte den Kopf. »Aber nein, mein lieber Tillmann. Sie müssen doch hier nicht die Tote wegräumen!«
    »Stimmt, dafür haben wir schließlich Onkel Leopold«, sagte Bert und half seiner Großmutter aus den großen Stiefeln. »Der gute alte Leopold hat da als Arzt schon Erfahrung.« Er grinste breit. »Nur dumm, dass er gar kein Rechtsmediziner ist!«
    »Zügle deine Zunge, mein Lieber«, verlangte die Großmutter. »Überragende berufliche Erfolge hast du meines Wissens auch nicht vorzuweisen.«
    »Aber Oma, bisher haben alle meine Kunden überlebt«, konterte Bert gut gelaunt.
    Sie lächelte ihren Enkel an. »Na, wenn du so gut mit den Lebendigen klarkommst, möchte ich dich bitten, dich bis zum Mittagessen ein bisschen um unser Pokerkränzchen zu kümmern«, sagte sie. »Die, ähm, Damen sollten zunächst noch nichts von Veronikas Tod erfahren!«
    »Och.« Bert zog eine Schmollschnute. »Dabei hätte ich ihnen so gerne erzählt, dass der gute Paul nicht nur Kritiker, sondern auch Killer ist!«
    »Untersteh dich, solche Anschuldigungen zu verbreiten«, zischte die Großmutter. Dann wandte sie sich an Tillmann. »Mein lieber Tillmann, würden Sie mir etwas Gesellschaft leisten? Ich würde gerne ein wenig mit Ihnen plaudern, um Sie besser kennenzulernen.«
    »Ähm, ja«, stammelte Tillmann verwirrt. Wollte sie tatsächlich Smalltalk halten? Während ihre Enkelin tot irgendwo da draußen lag? Er konnte es nicht fassen. »Aber doch nicht jetzt?«, entfuhr es ihm.
    »Natürlich jetzt«, sagte die Großmutter freundlich. »Für den Moment sind wir ungestört. Ich werde mir von einem solch bedauerlichen Unfall doch nicht meine Wochenendpläne ruinieren lassen.« Sie lächelte würdevoll. »Folgen Sie mir bitte nach oben in meinen kleinen Salon.«
    »Das war doch kein Unfall, Oma«, warf Bert ein.
    »Aber sicher war es ein Unfall, mein Junge«, erklärte die alte Dame mit Nachdruck. »Unsere arme Veronika war schließlich ein medizinisches Wrack. Da wurde ihr das schwere Asthma beim einsamen Morgenspaziergang ganz einfach zum Verhängnis.« Auf der Treppe wandte sie sich noch einmal um. »Wahrhaft tragisch, das gebe ich zu, aber doch kein Grund, unseren Gast zu vernachlässigen. Kommen Sie, mein lieber Tillmann!«
    Ihre Worte schienen keinen Widerspruch zu dulden. Wie aufgezogen folgte Tillmann der alten Dame.
    Der sogenannte kleine Salon hatte in etwa die Größe einer Turnhalle, allerdings mehr Fenster und statt Klettersprossen eine Vielzahl von Ölgemälden an den Wänden. Die vielen mannshohen Kerzenleuchter schufen eine geheimnisvolle Beleuchtung für die Kunstwerke.
    Die Großmutter bot Tillmann einen Platz auf einem kleinen Sofa an und zog eine Whiskyflasche aus einer Bar, die aussah wie ein Globus. »Trinken Sie einen Schluck mit mir?«, fragte sie und goss bereits Hochprozentiges in zwei Gläser.
    Wie die Tochter so die Mutter, schoss es Tillmann durch den Kopf, in dem sogleich das Bild der angeheiterten Mama-Lou entstand. Ob Lilly heimlich auch trank? Vielleicht war ein Whisky aber auch nur das halbwegs beruhigende Zeichen dafür, dass der Tod der Enkelin der alten Dame doch naheging.
    »Ja«, sagte er matt.
    Die Großmutter reichte ihm ein Glas. »Dieser Vorfall ist wirklich bedauerlich. Es muss an diesem Datum liegen.« Sie seufzte abgrundtief. »Heute vor zehn Jahren wurde mein ältester Sohn entführt.«
    »Das tut mir sehr leid«, murmelte Tillmann unbeholfen. Ihm war unbehaglich.
    »Es war ein Wochenende wie dieses«, sagte die Großmutter seufzend. »Ein richtiges Familienwochenende … Interessiert Sie das
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