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Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Titel: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats
Autoren: Friedrich Engels
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Punkt gelenkt, fanden sich mehr und mehr Beweise, daß bei unentwickelten Völkern Eheformen bestanden, worin eine Reihe von Männern eine Reihe von Frauen gemeinsam besaßen; und Lubbock ( The origin of Civilization , 1870) erkannte diese Gruppenehe ( Communal marriage ) als geschichtliche Thatsache an.
    Gleich darauf, 1871, trat Morgan mit neuem und in vieler Beziehung entscheidendem Material auf. Er hatte sich überzeugt, daß das bei den Irokesen geltende, eigentümliche Verwandtschaftssystem allen Ureinwohnern der Vereinigten Staaten gemeinsam, also über einen ganzen Kontinent verbreitet sei, obwohl es den Verwandtschaftsgraden, wie sie sich aus dem dort geltenden Ehesystem thatsächlich ergeben, direkt widerspricht. Er bewog nun die amerikanische Bundesregierung, auf Grund von ihm selbst aufgesetzter Fragebogen und Tabellen Auskunft über die Verwandtschaftssysteme der übrigen Völker einzuziehn, und fand aus den Antworten, 1) daß das amerikanisch-indianische Verwandtschaftssystem auch in Asien, und in etwas modifizirter Form in Afrika und Australien bei zahlreichen Volksstämmen in Geltung sei, 2) daß es sich vollständig erkläre aus einer, in Hawaii und andern australischen Inseln eben im Absterben begriffenen Form der Gruppenehe, und 3) daß aber neben dieser Eheform auf denselben Inseln ein Verwandtschaftssystem in Geltung sei, das sich nur durch eine noch urwüchsigere, jetzt ausgestorbne Form der Gruppenehe erklären lasse. Die gesammelten Nachrichten nebst seinen Schlußfolgerungen daraus veröffentlichte er in seinen Systems of Consanguinity and Affinity , 1871, und führte damit die Debatte auf ein unendlich umfassenderes Gebiet. Indem er, von den Verwandtschaftssystemen ausgehend, die ihnen entsprechenden Familienformen wieder konstruirte, eröffnete er einen neuen Forschungsweg und einen weiter reichenden Rückblick in die Vorgeschichte der Menschheit. Erhielt diese Methode Geltung, so war die niedliche Konstruktion MacLennan's in Dunst aufgelöst.
    MacLennan vertheidigte seine Theorie in der Neuauflage von Primitive Marriage (Studies in Ancient History , 1875). Während er selbst eine Geschichte der Familie aus lauter Hypothesen äußerst künstlich kombinirt, verlangt er von Lubbock und Morgan nicht nur Beweise für jede ihrer Behauptungen, sondern Beweise von der unanfechtbaren Bündigkeit, wie allein sie in einem schottischen Gerichtshof zugelassen werden. Und das thut derselbe Mann, der aus dem engen Verhältniß zwischen Mutterbruder und Schwestersohn bei den Deutschen ( Tacitus Germania c. 20), aus Cäsars Bericht, daß die Briten, je zehn oder zwölf ihre Frauen gemeinsam haben, und aus allen anderen Berichten der alten Schriftsteller über Weibergemeinschaft bei Barbaren ohne Zaudern den Schluß zieht, bei allen diesen Völkern habe Vielmännerei geherrscht! Man meint einen Staatsanwalt zu hören, der sich bei Zurechtmachung seines Falls jede Freiheit erlauben kann, der aber vom Vertheidiger für jedes Wort den formellsten juristisch gültigen Beweis beansprucht.
    Die Gruppenehe sei eine pure Einbildung, behauptet er, und fällt damit weit hinter Bachofen zurück. Die Verwandtschaftssysteme bei Morgan seien bloße Vorschriften gesellschaftlicher Höflichkeit, bewiesen durch die Thatsache, daß die Indianer auch einen Fremden, Weißen, als Bruder oder Vater anreden. Es ist, als wollte man behaupten, die Bezeichnungen Vater, Mutter, Bruder, Schwester seien bloße sinnlose Anredeformen, weil katholische Geistliche und Aebtissinnen ebenfalls mit Vater und Mutter, Mönche und Nonnen, ja selbst Freimaurer und englische Fachvereinsgenossen in solenner Sitzung, als Bruder und Schwester angeredet werden. Kurz, MacLennan's Verteidigung war elend schwach.
    Noch aber blieb ein Punkt, wo er nicht gefaßt worden war. Der Gegensatz von exogamen und endogamen »Stämmen,« auf dem sein ganzes System beruhte, war nicht nur unerschüttert, er wurde sogar allgemein als Angelpunkt der gesammten Geschichte der Familie anerkannt. Man gab zu, MacLennan's Versuch, diesen Gegensatz zu erklären, sei ungenügend und widerspreche den von ihm selbst aufgezählten Thatsachen. Aber der Gegensatz selbst, die Existenz zweier einander ausschließender Arten von selbständigen und unabhängigen Stämmen, wovon die eine Art ihre Weiber innerhalb des Stamms nahm, während dies der andern Art absolut verboten war – dies galt als unbestreitbares Evangelium. Man vergleiche z. B. Giraud-Teulon's Origines de la famille
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