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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan
Autoren: Heinrich Mann
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hätte und dazu den weißen Teint...‹ Auch bereitete es ihm Genugtuung, daß der Nagel des Fingers, den er beleckt hatte, nicht ganz sauber gewesen war.
    Herr Göppel kam mit seinen drei Schwestern. Eine von ihnen hatte Mann und Kinder mit. Der Vater und die Tanten umarmten und küßten Agnes. Sie taten es mit dringlicher Innigkeit und hatten dabei behutsame Mienen. Das junge Mädchen war schlanker und größer als sie alle und blickte ein wenig zerstreut auf die hinab, die eben an ihren schmächtigen Schultern hing. Nur ihrem Vater erwiderte sie langsam und ernst seinen Kuß. Diederich sah dem zu und sah in der Sonne die hellblauen Adern, überzogen von roten Haaren, ihre Schläfe kreuzen.
    Er mußte eine der Tanten ins Eßzimmer führen. Der Mecklenburger hatte Agnes' Arm in den seinen gehängt. Um den langen Familientisch raschelten die seidenen Sonntagskleider. Die Gehröcke wurden über den Knien zusammengelegt. Man räusperte sich, die Herren rieben die Hände. Dann kam die Suppe.
    Diederich saß von Agnes weit weg und konnte sie nicht sehen, wenn er sich nicht vorbeugte — was er sorgfältig vermied. Da seine Nachbarin ihn in Ruhe ließ, aß er große Mengen Kalbsbraten und Blumenkohl. Er hörte ausführlich das Essen besprechen und mußte bestätigen, daß es schön schmeckte. Agnes ward vor dem Salat gewarnt, ihr ward zu Rotwein geraten, und sie sollte Auskunft geben, ob sie heute morgen Gummischuhe angehabt habe. Herr Göppel erzählte, Diederich zugewendet, daß er und seine Schwestern vorhin in der Friedrichstraße, weiß Gott, auseinandergekommen seien und sich erst im Omnibus wiedergefunden hätten. »So was kann Ihnen in Netzig auch nicht passieren«, rief er voll Stolz über den Tisch. Mahlmann und Agnes sprachen von einem Konzert. Sie wollte bestimmt hin, ihr Papa werde es schon erlauben. Herr Göppel machte zärtliche Einwände, und der Chor der Tanten begleitete sie. Agnes müsse früh schlafen gehen und bald in gute Luft hinaus; sie habe sich im Winter überanstrengt. Sie bestritt es. »Ihr laßt mich niemals aus dem Hause. Ihr seid schrecklich.«
    Diederich nahm innerlich Partei für sie. Er hatte eine Wallung von Heldentum: er hätte machen wollen, daß sie alles dürfte, daß sie glücklich war und es ihm dankte... Da fragte Herr Göppel ihn, ob er in das Konzert wolle. »Ich weiß nicht«, sagte er verächtlich und sah Agnes an, die sich vorbeugte. »Was ist das für eins? Ich gehe nur in Konzerte, wo ich Bier trinken kann.«
    »Sehr vernünftig«, sagte der Schwager des Herrn Göppel.
    Agnes hatte sich zurückgezogen, und Diederich bereute seinen Ausspruch.
    Aber die Creme, auf die alle gespannt waren, blieb aus. Herr Göppel riet seiner Tochter, einmal nachzusehen. Bevor sie ihren Kompotteller hingesetzt hatte, war Diederich aufgesprungen — sein Stuhl flog an die Wand — und festen Schritts zur Tür geeilt. »Marie! Der Krehm!« rief er hinaus. Rot und ohne jemand anzusehen, ging er wieder an seinen Platz. Aber er merkte ganz gut, sie blinzelten sich zu. Mahlmann stieß sogar höhnisch den Atem aus. Der Schwager äußerte mit künstlicher Harmlosigkeit: »Immer galant! So soll es sein.« Herr Göppel lächelte zärtlich zu Agnes hin, die nicht von ihrem Kompott aufsah. Diederich stemmte das Knie gegen die Tischplatte, daß sie anfing sich zu heben. Er dachte: ›Gott, o Gott, hätte ich nur das nicht getan!‹
    Beim Mahlzeitsagen gab er allen die Hand, nur um Agnes drückte er sich herum. Im Berliner Zimmer beim Kaffee wählte er seinen Sitz mit Sorgfalt dort, wo Mahlmanns breiter Rücken sie ihm verdeckte. Eine der Tanten wollte sich seiner annehmen.
    »Was studieren Sie denn, junger Mann?« fragte sie.
    »Chemie.«
    »Ach so, Physik?«
    »Nein, Chemie.«
    »Ach so.«
    Und so imposant sie angefangen hatte, hierüber kam sie nicht hinweg. Diederich nannte sie im stillen eine dumme Gans. Die ganze Gesellschaft paßte ihm nicht. Von feindseliger Schwermut erfüllt, sah er darein, bis die letzten Verwandten aufgebrochen waren. Agnes und ihr Vater hatten sie hinausbegleitet. Herr Göppel kehrte zurück, erstaunt, den jungen Mann allein noch im Zimmer zu finden. Er schwieg forschend, einmal faßte er in die Tasche. Als Diederich unvermittelt, ohne um Geld gebeten zu haben, Abschied nahm, bekundete Göppel große Herzlichkeit. »Meine Tochter werd ich von Ihnen grüßen«, sagte er sogar, und an der Tür, nachdem er ein wenig überlegt hatte: »Kommen Sie doch nächsten Sonntag
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