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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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bist eine Ausnahme, ich kann dich vernichten, einfach so!« Und er schnippte mit seinen dicken Fingern, wobei er mich mit einem höchst jovialen Lächeln fixierte.
    Das sind keine echten Drohungen, sie müssen in den Kontext unserer langjährigen Freundschaft gestellt und überdies im Licht des besonderen Humors von Migliarini gesehen werden, der zur Übertreibung neigt. Aber meine Exfrau Luciana hat diesen Humor leider immer negativ aufgenommen.
    »Das sind doch Fußtritte ins Gesicht, die du da von morgens bis abends einsteckst, ohne auch nur im geringsten zu reagieren«, sagte sie mir wieder und wieder. »Du hast einfach keinen Stolz, keine Selbstachtung.«
    »Aber was für Fußtritte, was für Selbstachtung denn. Wir zwei sind alte Freunde, wir können uns alles sagen, wir brauchen kein Blatt vor den Mund zu nehmen.«
    »Das einzige«, erwiderte sie, »das einzige, was bei dir ohne Blatt aus dem Mund kommt, ist die Zunge, um ihm die Schuhsohlen abzulecken.«
    Eine gesuchte Metapher, völlig im Gegensatz zu den Tatsachen. Nie habe ich mich um Migliarinis Schuhe gekümmert, ja, gerade umgekehrt war es, erinnerte ich sie: Denn als ich ihn einmal bei einem Wolkenbruch besuchte, war er es, der mir ein Paar Schuhe lieh (sie waren mir etwas zu weit), weil meine voller Wasser waren. Aber gegen diese typischen Übertreibungen der Ehefrauen ist wenig zu machen.
    »Immer bist du bei ihm, steckst mit ihm zusammen oder bist wegen dieser hirnrissigen Aufträge, die er dir verpasst, unterwegs«, sagte sie. »Ich sehe dich kaum noch.«
    »Aber das ist Demokratie, das ist meine Aufgabe als Volksvertreter«, legte ich ihr vernünftig dar. »Versuche, mich als Polizisten zu sehen, der den ganzen Tag draußen ist und sein Leben riskiert und abends, wenn er nach Hause kommt, erwarten darf, dass seine Frau ...«
    »Du riskierst nicht dein Leben«, schnitt sie mir das Wort ab, »du riskierst bloß dauernd die beschissensten Blamagen und setzt dich prompt jedes Mal in die Scheiße, das ist die Sachlage!«
    Obwohl sie Lehrerin für Italienisch und Latein war (und noch ist), neigte sie immer öfter zu solchen Ausrutschern, sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, meine Beziehung zu Migliarini erschien ihr unter einem verzerrten Blickwinkel. So ärgerte es sie zum Beispiel, dass Migliarini mich mit meinem Nachnamen anspricht, sie sah darin Gott weiß was für eine Nuance verächtlicher Herablassung. »Als wärst du sein Fahrer oder sein Gärtner«, sagte sie.
    »Aber Migliarini hat mich bei den Klassenarbeiten seine Übersetzung von Sueton abschreiben lassen, er nennt mich in Erinnerung an die alten Zeiten Slucca, das ist eine sentimentale Gewohnheit.«
    Und sie: »Geh und lies nach, was Sueton über den großen Empfindsamen Nero sagt.«
    Migliarini gleich Nero? Ich musste lachen, und sie fing an, mich Slucca zu nennen, einfach, um das Problem am Leben zu erhalten. Und sie regte sich auch maßlos darüber auf, dass Migliarini, der oft bei uns zum Mittag- oder Abendessen zu Gast war, sie Lucianina nannte. »Was soll denn diese Initimität, Slucca, nicht einmal du hast mich nach unserer Verlobungszeit Lucianina genannt«, protestierte sie.
    »Aber das tut er doch aus Zuneigung, er will dir damit signalisieren, dass er sich hier zu Hause fühlt, dass er uns ein bisschen als seine Familie betrachtet.«
    Migliarini ist verheiratet, aber seine Frau lebt mit den beiden Kindern in Padua, wo sie zusammen mit ihrer Schwester ein Antiquitätengeschäft betreibt. Daher wohnt er allein in Rom in einem bequemen Apartment zwei Schritte von Montecitorio entfernt.
    Dann ist zwischen Luciana und ihm diese Affäre der angeblichen sexuellen Belästigung ausgebrochen. »Ausgeschlossen, das ist unmöglich, das bildest du dir nur ein«, sagte ich. »Vergiss nicht, dass Migliarini in dem zweiten, erweiterten Komitee war, das den Gesetzesentwurf gegen sexuelle Belästigung ausgearbeitet hat, und er war dabei am strengsten, am gründlichsten, er hat eine Novelle vorgelegt, um auch das anzügliche Lächeln einzuschließen, und sei es aus über fünf Meter Abstand von der Belästigten.«
    »Das wundert mich gar nicht, er ist ja darin Experte, er hat immer ein anzügliches Lächeln, er trägt es mit seinem Schnurrbart, nein, unter dem Schnurrbart, um genau zu sein.«
    »Sein Lächeln ist nicht anzüglich, es ist schlau, ironisch, zweideutig, vielleicht auch anspielend, wenn du willst, aber nicht ...«
    »Anspielend allerdings, und es spielt immer auf dasselbe an.

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