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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf
Autoren: Emmy von Rhoden
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dicke Thränen perlten in ihren Augen. »Dann bleibe ich auch nicht hier!« – sie wollte es eben aussprechen, aber sie wagte es nicht. Die Dame vor ihr hatte so etwas Unnahbares, Vornehmes in ihrem Wesen. Wie eine Fürstin erschien sie ihr trotz des schlichten, grauen Kleides, dessen kleiner Stehkragen am Halse mit einer einfachen goldenen Nadel zusammengehalten wurde. Ilse senkte den Blick und schwieg. 
    Der Oberamtmann lachte. »Sie haben recht, Fräulein,« sagte er, »und wir hätten das selbst vorher bedenken können. Ihre große Güte, den Hund bei Ihrem Herrn Bruder unterzubringen, wird Ilse mit vielem Danke annehmen, nicht wahr?« 
    Sie schüttelte den Kopf. »Fremde Leute sollen Bob nicht haben, Papa, du nimmst ihn wieder mit nach Moosdorf.« 
    Herr Macket schämte sich der Antwort seines Kindes, aber Fräulein Raimar überhob ihn geschickt seiner Verlegenheit. Mit ihrem erfahrenen Sinne hatte sie sofort das Trotzköpfchen vor sich erkannt. Sie that, als merkte sie Ilses Unart nicht. 
    »Du hast ganz recht,« sagte sie freundlich, »es ist das beste, der Papa nimmt das Tier wieder mit in die Heimat. Du würdest durch dasselbe vielleicht doch mehr zerstreut, als mir lieb wäre. Soll die Magd den Hund in das Hotel zurücktragen, wo Sie abgestiegen sind, Herr Oberamtmann?« 
    »Ich will ihn selbst dorthin tragen, nicht wahr, Papachen?« fragte Ilse und hielt Bob ängstlich fest. 
    »Ich wünsche nicht, daß du es thust, liebe Ilse,« wandte Fräulein Raimar ein. »Ich möchte dich gleich zu Mittag hier behalten, um dich den übrigen Pensionärinnen vorzustellen. Ich halte es so für das beste. Es thut nicht gut, Herr Oberamtmann, wenn ein Kind, sobald der Vater oder die Mutter es mir übergeben haben, noch einmal mit ihnen zurückkehrt in das Hotel. Der Abschied wird ihm weit schwerer gemacht.« 
    »Nein, nein!« rief Ilse zitternd vor Aufregung, »ich bleibe nicht gleich hier! Ich will mit meinem Papa so lange zusammen sein, bis er abreist. Du nimmst mich mit dir, nicht, Papa?« 
    Es wurde Herrn Macket heiß und kalt bei ihrem Ungestüm, indes auch diesmal half ihm Fräulein Raimar über die peinliche Lage hinweg. 
    »Gewiß, mein Kind,« entgegnete sie mit Ruhe, »dein Wunsch soll dir erfüllt werden. Darf ich Sie bitten, Herr Oberamtmann, heute mittag mein Gast zu sein? Sie würden mich sehr erfreuen.« 
    Ilse warf ihrem Papa einen flehenden Blick zu, der ungefähr ausdrücken sollte: »Bleib’ nicht hier, nimm mich mit fort! Ich mag nicht hier bleiben bei dem bösen Fräulein, das mich schlecht behandeln wird!« Leider verstand er den Blick anders, er hielt ihn für eine stumme Bitte, die Einladung anzunehmen und sagte zu. 
    Die Vorsteherin erhob sich und zog an einer Klingelschnur. Der eintretenden Magd trug sie auf, Fräulein Güssow zu rufen. Wenige Augenblicke darauf trat dieselbe in das Zimmer. 
    Die Gerufene war die erste Lehrerin im Institute und wohnte daselbst. Weit jünger als die Vorsteherin, war sie eine höchst anmutige, liebenswürdige Erscheinung von sechsundzwanzig Jahren. Sämtliche Tagesschülerinnen und besonders die Pensionärinnen schwärmten für sie, sie verstand es, durch gleichmäßige Güte sich die jungen Herzen zu gewinnen. 
    »Wollen Sie die Güte haben, Ilse auf ihr Zimmer zu geleiten,« sagte die Vorsteherin, nachdem sie die junge Lehrerin vorgestellt hatte, »damit sie dort ihren Hut ablegen kann.« 
    »Gern,« erwiderte die Angeredete und trat auf Ilse zu. »Komm, liebes Kind,« sagte sie freundlich und ergriff sie bei der Hand, »jetzt werde ich dir zeigen, wo du schläfst. O, du hast ein schönes, großes Zimmer; aber du wohnst nicht allein dort. Ellinor Grey wird deine Stubengenossin sein. Sie ist ein liebes Mädchen. Du möchtest gern gleich mit ihr bekannt werden, nicht wahr?« 
    Ilse überhörte die Frage. Mit scheuen, ängstlichen Augen sah sie den Vater an und fragte: »Du gehst doch nicht fort, Papa?« Als er sie darüber beruhigte, folgte sie Fräulein Güssow. 
    »Aber den Hund mußt du wohl hier lassen, du kannst ihn doch nicht mit hinauf in dein Zimmer nehmen,« sagte Fräulein Raimar. »Du kannst ihn draußen der Magd übergeben, damit sie ihn so lange in Verwahrung nimmt.« 
    Fräulein Güssow dachte weniger streng als die Vorsteherin. Sie fand es nicht so schlimm, wenn Ilse ihren Hund im Arme behielt. 
    »Hast du ihn so sehr gern?« fragte sie, als sie mit dem jungen Mädchen den Korridor entlangging. 
    »Ja,« entgegnete Ilse, »sehr,
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