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Der Traum der Hebamme / Roman

Der Traum der Hebamme / Roman

Titel: Der Traum der Hebamme / Roman
Autoren: Sabine Ebert
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Dietrich stehen und forderte die Versammelten mit einer Geste auf, sich zu erheben. Er griff nach seinem Becher und hielt ihn empor. Gewohnheitsmäßig warf er einen Blick zu seiner Rechten, wo früher der Kaplan gesessen hatte. Doch der Geistliche war vor einem Jahr gestorben, wie ihm der Verwalter mitgeteilt hatte, und solange der Herr der Burg nicht zurückgekehrt war und einen neuen aufnahm, gingen die Burgbewohner in die Kirche im Ort, um an den Messen teilzunehmen oder die Beichte abzulegen.
    Dietrich sah die vielen Augenpaare, die sich auf ihn richteten, während völlige Stille in die Halle einkehrte.
    »Trinken wir auf die Seelen der Männer, die vor zweieinhalb Jahren mit mir aufgebrochen sind und die ihr Leben für den Traum von Jerusalem gaben. Amen.«
    Ein unterdrücktes Schluchzen war aus mehreren Reihen zu hören. Einige Frauen erfuhren auf diesem Wege die Bestätigung, dass ihre Männer, Söhne oder Väter nicht zurückkehren würden.
    »Ihnen ist für ihr Opfer ewiges Seelenheil gewiss. Ich werde morgen mit jedem Einzelnen von euch, der einen Verwandten oder anderen geliebten Menschen verloren hat, darüber sprechen, wie es geschah.«
    Der Graf von Weißenfels trank einen Schluck, dann sagte er mit Nachdruck: »Doch jetzt erfreut Euch des Friedens dieses Abends – solange er anhält. Mag sein, wir müssen uns morgen schon auf neue Kämpfe vorbereiten. Zuvor will ich zwei Menschen an meiner Seite würdigen, die hier in Weißenfels in höchsten Ehren gehalten werden sollen: Thomas von Christiansdorf und seine Schwester Clara Maria.«
    Ein Raunen setzte unter den Weißenfelsern ein, doch Dietrich ignorierte es und sprach weiter. Sofort wurde es wieder still in der Halle. »Jetzt, da ich zurückgekehrt bin, darf ihre wahre Herkunft enthüllt werden. Ihrem Vater Christian verdanke ich meine Erziehung zum Ritter, sein Sohn kämpfte mit großem Mut an meiner Seite bei den Schlachten um Philomelion, Ikonium und Akkon. Schließt Bruder und Schwester in eure Gemeinschaft ein und bringt ihnen die Achtung entgegen, die sie verdienen.«
    Auf Dietrichs Zeichen hoben auch die Menschen in der Halle die Becher und tranken ihm zu, dann setzten sie sich und begannen zu essen.
     
    Als das Mahl schon eine Weile vorangeschritten war, schickte Dietrich Thomas unter einem Vorwand kurz hinaus und wandte sich an die junge Frau, die an seiner Seite saß.
    »Clara, ich bitte Euch: Nehmt Euch mit all Eurer Klugheit und Heilkunst Eures Bruders an. Der Krieg verändert die Männer. Manchem verleiht er Furcht, anderen Mut. Er macht hart und bitter. Und mancher kehrt nie ganz aus dem Schlachtenwahn in die wirkliche Welt zurück.«
    Zu lebhaft hatte er die heftige Reaktion des jungen Kampfgefährten im Stall des Schankhauses vor Augen.
    »Der Krieg verändert auch die Frauen«, entgegnete Clara und sah ihm zum ersten Mal seit seiner Ankunft in die Augen, wenn auch nur kurz. »Sie müssen ihre Männer, Brüder und Söhne hergeben und sich allein behaupten, um die Kinder durchzubringen. Und falls ihre Männer, Brüder und Söhne zurückkehren, dann müssen sie mit deren Härte und Verbitterung leben, wenn sie es nicht schaffen, ihre Herzen wieder mit Liebe zu füllen.«
    Betroffen verstummte Dietrich, bis er schließlich wehmütig sagte: »Ich habe Eure Gegenwart lange vermisst. Eure Gegenwart und Eure Klugheit.«
    Es klang wie eine höfische Schmeichelei, doch jedes Wort war ernst gemeint. Einen Augenblick lang schwieg Clara.
    »Sobald Ihr die Tafel aufhebt und es erlaubt, würde ich meinem Bruder gern seine kleine Nichte vorstellen«, schlug sie dann vor.
    »Tut das!«, meinte Dietrich – auch wenn ihm der Gedanke einen Stich versetzte, dass dieses Kind von einem Mann gezeugt worden war, mit dem er trotz dessen tragischen Todes gern getauscht hätte.
     
    Es war schon tief in der Nacht, als sich Thomas in Claras Kammer über die schlafende Änne beugte.
    »Ganz die Mutter«, sagte er. Ein Anflug von Rührung flog über sein Gesicht und veränderte es völlig. Die Kleine – anderthalb Jahre alt, wie ihm Clara erzählt hatte – schlief tief und fest und ließ sich auch vom Licht der Kerze nicht stören, mit dem ihr Oheim ihre Züge beleuchtete. Das Mädchen wirkte friedlich und gesund, sogar in den Träumen behütet. Ihr Haar kräuselte sich an den Schläfen und wies den gleichen rötlichen Schimmer auf wie das ihrer Mutter und ihrer Großmutter.
    Nur unter Mühen konnte sich Thomas davon abhalten, mit seinen schwieligen
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