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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition)
Autoren: Robert Seethaler
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reichste Mann im Salzkammergut. Tatsächlich war er nur der drittreichste, was ihn zwar maßlos ärgerte, ihn aber zu dem ehrgeizigen Stierschädel hatte werden lassen, als der er bekannt und berüchtigt war. Ihm gehörten ein paar Hektar Wald- und Weidefläche, ein Sägewerk, eine Papierfabrik, die vier letzten Fischereibetriebe der Gegend, eine unbekannte Anzahl größerer und kleinerer Seegrundstücke mitsamt dazugehörender Bebauung sowie zwei Fährschiffe, ein Ausflugsdampfer und das einzige Auto im Umkreis von angeblich über vier Kilometern: ein prächtiger, champagnerroter Wagen der Firma Steyr-Daimler-Puch, der allerdings wegen der vom salzkammerguttypischen Dauerregen ständig ausgewaschenen Straßen in einer rostigen Blechbaracke vor sich hin dauerte.
    Alois Preininger waren seine sechzig Jahre nicht anzusehen, immer noch stand er voll im Saft. Er liebte sich selbst, seine Heimat, gutes Essen, starke Getränke und schöne Frauen. Wobei das mit der Schönheit eher subjektiv und daher relativ war. Im Grunde genommen liebte er alle Frauen, weil er eben auch alle Frauen schön fand. Franz’ Mutter hatte er vor Jahren beim großen Seefest kennengelernt. Sie stand unter der alten Linde, trug ein himmelblaues Kleid, und ihre Unterschenkel waren so hellbraun, glatt und makellos wie das hölzerne Lenkrad des champagnerroten Steyr-Daimler-Puch. Er bestellte frischen Bratfisch, einen Krug Most und eine Flasche Kirsch, und während sie aßen und tranken, versuchten sie erst gar nicht, aneinander vorbeizuschauen. Kurz danach tanzten sie Polka und später sogar Walzer und flüsterten sich dabei kleine Geheimnisse ins Ohr. Dann spazierten sie Arm in Arm um den sternengetupften See und fanden sich unvermutet in der Blechbaracke und gleich darauf im Fond des Steyr-Daimler-Puch wieder. Der Rücksitz war breit genug, das Leder weich, die Stoßdämpfer gut geschmiert, alles in allem war die Nacht ein Erfolg. Von da an trafen sie sich immer wieder in der Baracke. Es waren kurze, eruptive Zusammenstöße, die mit keinen Forderungen und keinen Erwartungen verbunden waren. Für Frau Huchel hatten diese angenehm verschwitzten Zusammenkünfte auf dem Rücksitz allerdings noch einen weiteren, fast noch ein bisschen angenehmeren Nebeneffekt: Pünktlich zu jedem Monatsende flatterte bei der Nußdorfer Sparkasse ein Scheck über einen nicht unerheblichen Betrag ein. Dieser regelmäßige Geldsegen ermöglichte ihr, die ehemalige Fischerhütte direkt am Seeufer zu beziehen, einmal täglich warm zu essen und zweimal im Jahr mit dem Bus nach Bad Ischl zu fahren, um sich im Café Esplanade eine heiße Schokolade und im nebenan gelegenen Stoffladen ein paar Meter Leinen für ein neues Kleid zu gönnen. Für ihren Sohn Franz wiederum hatte Alois Preiningers Liebesgroßzügigkeit den Vorteil, dass er nicht wie all die anderen jungen Burschen den ganzen Tag in irgendwelchen Salzstollen oder Misthaufen herumkriechen musste, um sich ein kärgliches Auskommen zu verdienen. Stattdessen konnte er von früh bis spät durch den Wald spazieren, sich auf einem der Holzstege die Sonne auf den Bauch scheinen lassen oder bei schlechtem Wetter einfach im Bett liegen bleiben und seinen Gedanken und Träumen nachhängen. Doch damit war es jetzt vorbei.
    Wie seit fast vierzig Jahren – unterbrochen nur von einigen wenigen widrigen Ereignissen, wie dem ersten Weltkrieg oder dem Großbrand im Sägewerk – hatte Alois Preininger auch diesen Sonntagvormittag am Stammtisch des Wirtshauses Zum Goldenen Leopold verbracht, hatte einen Rehbraten mit Rotkraut und Serviettenknödel sowie acht Krügel Bier und vier Doppeltgebrannte zu sich genommen und mit seiner tief tremolierenden Bassstimme allerhand Bedeutendes über die oberösterreichische Volkstumspflege, den sich wie Krätze in ganz Europa ausbreitenden Bolschewismus, die vertrottelten Juden, die noch vertrottelteren Franzosen und die geradezu grenzenlosen Entwicklungsmöglichkeiten im Fremdenverkehrsgeschäft zum Besten gegeben. Als er dann schließlich um die Mittagszeit etwas schläfrig auf dem Uferweg nach Hause wankte, war es merkwürdig still um ihn herum. Keine Vögel waren zu sehen, keine Insekten zu hören, und sogar die Schmeißfliegen, die noch im Wirtshaus seinen schweißglänzenden Nacken umschwirrt hatten, waren verschwunden. Der Himmel hing schwer über dem See, die Wasseroberfläche lag völlig glatt da. Selbst das Schilf bewegte sich nicht. Es war, als ob die Luft geronnen wäre und die ganze
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