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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
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still.
    Nichts und niemand waren zu hören.
    Wie konnte das sein?
    Sie war mit einer Reisegruppe hierher gekommen. Außerdem trieben sich hier noch viele andere Touristen herum. Allen voran die gestikulierenden Fremdenführer.
    Und doch war es totenstill.
    Sie trat vor den Sarkophag und legte ihre Handflächen auf den kühlen Stein. Sie hatte keine Ahnung, warum sie dies tat. Eigentlich war das Gefühl des Unheimlichen größer und sie wollte diese Stätte so schnell wie möglich verlassen. Und doch war der Magnet des Befremdlichen stärker.
    Sie meinte Stimmen zu hören, und verstand die in Englisch gesprochenen Worte, die dennoch nicht Englisch waren, sondern eine Sprache, so fremd und alt wie die Welt.
    Du bist auserwählt!
    Erschrocken zog sie ihre Finger zurück. Unter ihnen hatte es sanft vibriert. Es war, als lebe der Sarg, als sende er feine Stromstöße aus. Diese seltsame Sache war nicht dazu angetan, Lindas Furcht zu verringern. Doch noch immer war sie nicht bereit, die Kammer zu verlassen.
    Du bist wichtig! Du bist IHRE Mutter!
    Sie musste zurück zu Grace! sagte sie sich. Es wurde Zeit. Grace wartete!
    Erneut legte sie ihre Hände auf den Stein. Sie konnte nicht davon lassen, obwohl alles in ihr sich dagegen sträubte. Es war nur toter Stein. Nichts sonst. Auch die Stimmen schwiegen. Stattdessen materialisierte sich über dem Sarg ein milchiges Licht. Es nebelte und glitzerte wie Millionen Glühwürmchen. Als wolle sich das Licht zu etwas formen, schwebte es auf und ab. Noch immer hielt Linda ihre Handflächen fest auf den Sarg gedrückt. Sie konnte ihren Blick nicht von diesem erschreckenden Bild lösen. Die Wände der Grabkammer beugten sich wie lebendig zu Linda herab.
    Sie hatte so etwas schon mehrfach gesehen, in Filmen, die ihr nicht behagten. Solche, in denen sich Hände und Gesichter aus Wänden bohrten, Filme, die gemacht worden waren, um die Zuschauer zu erschrecken und ihnen den Schlaf zu rauben. Selbstverständlich war alles nur mit Spezialeffekten gemacht. Am Computer oder mit Modellen. Bernard hatte bei solchen Filmen gelacht und gesagt, sie solle sich nicht fürchten. Blut sei Ketchup und die Fratzen seien Kunstwerke der Modelltechnik. Dies hatte Linda nie beruhigt. Horrorfilme ängstigten sie - Ketchup hin oder her.
    Und nun erlebte sie genau dies.
    Wände, die sich bewegten und Lichter, die aufblitzten. Ein feines Knirschen lief durch den Fels.Linda hörte die Stimme und verstand, was hohl und dumpf aus dem Nichts gesprochen wurde:
    Nun ist es Zeit. Gehe! Gehe schnell - oder wir werden dich hier bei uns begraben! Gehe! Es ist die letzte Gelegenheit für dich. Noch streiten wir uns mit Mamothma! Noch ist er nicht bereit. Doch bald, bald …
    Was um alles in der Welt bedeutete das?
    Das milchige Licht formte sich zu einer wesensartigen Gestalt. Es richtete sich auf und floss unter der Decke der Grabkammer entlang, wie eine Trickfilm-Regenwolke.
    Linda ahnte, dass es sie einhüllen würde. Wenn es sie erst einmal umfangen hatte, würde sie nicht mehr flüchten können. Dann war es zu spät!
    Er ist ganz nahe! Siehst du ihn? Es ist Mamothma! Flüchte, solange du noch kannst! Du bist IHRE Mutter! Du bist auserwählt!
    Was würde geschehen, wenn das Licht sie einhüllte? Würde sie in das Reich der Pharaonen gezogen werden? Würde sie sterben?
    Als Linda an mögliche Antworten dachte, schüttelte es sie wie Espenlaub.
     
     

2
     
     
    Grace hatte sich nie mit ägyptischer Geschichte befasst. Keiner in ihrer Klasse tat das. Als sie ihren Schulfreundinnen erzählte, dass sie mit ihrer Mutter auf diese Reise gehen würde, war sie gefragt worden: Wo ist Ägypten?
    Auf amerikanischen Highschools lehrte man amerikanische Geschichte. Das Ausland wurde nur gestreift und interessierte wenig. Viele Amerikaner hielten Deutsche für Menschen, die in Holzhütten hausen und Lederhosen tragen oder Franzosen für kauzige Typen, die permanent Baguettestangen unter dem Arm spazieren führen und am liebsten vom Eiffelturm Selbstmord begehen.
    Grace fand die Reise bisher interessiert. Sie war wissbegierig. Reiseerfahrungen bedienten ihr Naturell. Besonders das Nilschiff fand sie cool. Sie teilte sich mit ihrer Mutter eine Kabine. Von dort aus hatte man einen großartigen Blick auf den Nil und auf die Sonnenuntergänge. Alles war sehr romantisch. Es wäre schön, wenn Stan bei ihr gewesen wäre. Stan war ein netter Junge, der ein bisschen aussah wie Robert Pattinson aus den Twilight-Verfilmungen.
    Grace seufzte
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