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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter
Autoren: Georg Diez
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gegangen war, es war die Watte im Mund und das Weißliche auf ihrer Haut,
     und das Gesicht meiner Mutter sah aus wie vorher, als ich wieder in ihr Zimmer ging und das Fenster aufmachte und ihre Decke
     etwas höher zog, damit sie nicht fror, es war alles wieder sauber, genau wie Fischer gesagt hatte.
    Ganz anders war die Frau vom Beerdigungsinstitut, Stark oder Stumpf oder Kraft oder so ähnlich, eine grobe Frau, klein und
     gedrungen, die kaum grüßte und mich nicht ansah und so tat, als sei das alles normal für mich, als hätte ich eine genaue Vorstellung
     davon, was ich mir wünschte für die Beerdigung meiner Mutter, als sei das nicht das erste und einzige Mal, sondern so etwas
     wie ein Hobby von mir. Sie hievte ihre schwereMappe auf den Tisch, in vergilbten Plastikhüllen waren die Sargmodelle abgebildet und die lila und roten und sonstigen Stoffe,
     mit denen man den Sarg ausstaffierte, Satinstoffe, dieses Wort fiel mir ein und ich hasste es in diesem Moment und auch heute
     noch hasse ich es, und das alles war in der Art, wie sie die Bilder zeigte, und in seiner routinierten Funktionalität so deprimierend,
     dass ich die Frau fast wieder hinausgeschickt hätte. Sie saß vor mir und ich musste die Fragen stellen, obwohl sie reden sollte,
     obwohl sie die Expertin war für das Sterben, wenn es so etwas gibt, aber das gibt es vielleicht doch nicht, sie jedenfalls
     war es nicht.
    Gegen Mittag kam mein Vater. Ich hatte ihn vormittags angerufen und wir hatten uns in einem Café in der Nähe verabredet. Seine
     Frau fuhr das Auto, sie parkte in der zweiten Reihe, damit er aussteigen konnte, und ein anderes Auto kam nicht vorbei und
     musste warten, bis mein Vater mit Mühe aus dem Wagen war. Er schien mir angestrengt und zerbrechlich, seine Augen standen
     groß in seinem Gesicht, es war auch für ihn etwas zu Ende gegangen, es war auch in seinem Leben etwas gestorben, und selbst
     wenn die Distanz zwischen meiner Mutter und ihm groß gewesen war, sie war vielleicht doch nicht so groß, wie es schien. Es
     war fast, als ob ich ihn trösten musste, dabei war er doch gekommen, um mir zu helfen.
    Wir saßen in dem Café und meine Frau erzählte mehr als ich, was mir guttat, und mein Vater schwieg viel, was mich traurig
     machte und bedrückte. Ich warunruhig, ich wollte zu meiner Mutter zurück, ich wollte sie nicht so lange allein lassen. Es ging meinem Vater nicht gut,
     das konnte ich sehen, und als seine Frau sagte, dass er meine Mutter gern noch einmal gesehen hätte, war ich kurz stumm, dann
     kam mir ein Gedanke, der sich warm anfühlte, dann kam mir ein Gedanke, der sich kalt anfühlte, ich sah sie in ihrem Bett liegen
     und sagte, nein, das geht nicht, das hätte sie nicht gewollt.
    Ich sah meinen Vater an und versuchte in ihm den Mann zu erkennen, den meine Mutter einmal geliebt hatte. Aber ich sah nur
     meinen Vater.
    Wir verabschiedeten uns und gingen zurück in die Wohnung meiner Mutter. Ich schloss die Tür auf, wieder einmal, wie oft noch,
     ich hörte auf ein Geräusch, das nicht da war, ich wusste nicht, was ich in der Wohnung erwartete. Es war schon eine gewisse
     Routine in dieser Erkenntnis, eine gewisse Ruhe auch. Der Tod bekam langsam seine Selbstverständlichkeit und blieb doch die
     Ungeheuerlichkeit, die er war.
    Die Wohnung, die ich betrat, war einerseits der Ort, wo dieser Körper lag, sie war aber vor allem die Summe all der Sachen,
     die einmal das Leben meiner Mutter ausgemacht hatten. Und wie sich dieses Leben aus diesen Dingen zusammensetzte, so fallen
     diese Dinge auseinander, wenn das Leben fort ist. Ich sah also auf die Bücher, auf die roten Waschlappen und die roten Handtücher,
     auf die Töpfe und Gläser und Messer, auf die Bilder, auf die Bauernschränke, auf die getrockneten Blumen und die Schuhe und
     die Hosen und Schals, und es fühlte sichschwer an, es fühlte sich wie eine Last an, die nichts mit dem zu tun haben sollte, was meine Mutter gewesen war. Sie war
     fort, aber die Dinge waren noch da. Das war das Problem. Auf einmal war es leichter, dass sie fort war, weil es schwer war,
     sich den Dingen zu stellen.
    Und so saß ich nun da, alleine, nachts, ich war aus dem Hotel noch einmal zurück in die Wohnunggegangen, es war die letzte Nacht, morgen würde sie abgeholt werden, man würde sie in einen Sarg legen und an einen kalten
     Ort bringen. Ich saß da und hörte wieder die Musik, Händel und Benjamin Biolay, ich trank etwas Wasser, ich ging in ihr Zimmer
     und
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