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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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längst über alle Berge. Und wer soll ihn fassen, wenn er zu Mayenne flüchtet oder zu den Spaniern nach Flandern?«
    »Das stimmt. Gevatter, wenn der Bursche sich hergetraut, lege ich ein Wort für dich ein.«
    Da sah ich Guillemette auch schon mit einem Jungen und Schreibzeug kommen, ich kehrte Tronson den Rücken, gab der Kleinen ihre zwei Sous, dann setzte ich mich auf einen der beiden Torsteine, welche die Einfahrten vor den Kutschenrädern schützen, und schrieb:
     
    Maître Bahuet,
    Ihr werdet mit Eurem Wagenzug außerhalb der Stadtmauern großen Ärger bekommen. Wenn Ihr mich zur Stunde vor der alten Nadlerei aufsuchen wollt, kann ich Euch einen Rat geben, wie Ihr diese Gefahren vermeidet.
    S.
     
    »Gnädiger Herr«, sagte Guillemette, die sich über meine Schulter beugte, »ich kann ja nicht lesen, aber es ist ganz wunderbar, wie schön Ihr schreiben könnt. Trotzdem, ein Edelmann seid Ihr nicht, auch wenn Ihr einen Degen tragt.«
    »Warum nicht?«
    »Wenn Ihr’s wärt, würdet Ihr das Billett einem Sekretär diktieren, anstatt Euch so anzustrengen.«
    »Gut gedacht, Mädchen. Aber nun geh. Ich habe zu tun. Hier ist dein Schreibzeug.«
    Sie legte es in ihren Korb und tat, als ob sie ginge, doch ein Haus weiter versteckte sie sich im Eingang.
    »Laufbursche«, sagte ich zu dem Jungen, der noch keine zehn sein mochte, aber recht aufgeweckt dreinsah, »dieses Billett bringst du dem Herrn Bahuet. Du fragst nach ihm, übergibst es aber nur ihm persönlich. Hier ist ein Sou für dich.«
    »Ein Sou!« rief Guillemette, indem sie aus ihrem Versteck hervorschoß, »Monsieur, das ist zuviel! Für einen so kurzen Auftrag reicht ein halber Sou.«
    »Da seh sich einer diese Ziege an, will mir meinen Lohn beschneiden!« sagte der Junge entrüstet.
    »Ziege!« keifte Guillemette, indem sie mit erhobener Hand gelaufen kam. »Bengel! Dir geb ich was hinter die Löffel!«
    »Still, Mädchen!« sagte ich, faßte sie beim Arm und hieß sie kehrtmachen. »Mach du deine Einkäufe, Guillemette, und steck deine Nase nicht in fremde Angelegenheiten!«
    Doch wie zuvor entfernte sie sich nur ein paar Schritte undversteckte sich abermals, die Szene zog sie an wie der Magnet den Feilspan. Womit sie nicht allein war, denn als die ersten Sonnenstrahlen die Taubenhäuser und Giebel der Rue du Champ Fleuri übergoldeten, öffneten die Frühaufsteherinnen ihre Fenster, beugten sich über ihre Töpfe mit Basilikum und Majoran und beäugten unsere kleine Truppe, wortlos, aber auch ohne sich irgend etwas entgehen zu lassen.
    Der kleine Laufbursche war unterwegs, und ich hieß Tronson und meine Leute, sich noch weiter zurückzuziehen und sich möglichst gut zu verbergen, damit Bahuet sie nicht sähe, wenn er zu mir herauskäme; auch sollten sie sich nicht rühren, bevor ich sie riefe. Hierauf bezog ich, in voller Sicht der unbehaglichen Burschen, vor der Haustür der alten Nadlerei Posten, indem ich mich lässig gegen die hölzerne Tür lehnte und mir mit einer kleinen Schere die Fingernägel zu schneiden begann. Zugegeben, Leser, ich spielte ein bißchen Theater – nachdem ich mich zuvor freilich mit einem Griff unter mein Cape versichert hatte, daß die beiden Dolche, die ich nach italienischer Art rücklings im Gürtel trug, locker in ihrer Scheide saßen, denn sollte es unversehens zum Handgemenge kommen, das wußte ich, hätte ich weder Zeit noch Raum, den Degen zu ziehen, dann würde mir nur ein Dolch helfen. In derselben Voraussicht hatte ich auf ein Kettenhemd verzichtet, das einen im Kampf steif und schwerfällig macht, und lieber ein Wams aus Büffelleder angelegt, das eine Klinge aus nächster Nähe meines Erachtens nicht so leicht aufschlitzen und durchbohren konnte. Und schließlich hatte ich mich in die Türleibung gestellt, die schmal und tief war und mich also rechts wie links deckte, dazu war hinter mir die Tür. Doch weshalb, zum Teufel, setzte ich mich derweise schlimmster Gefahr aus, anstatt zu warten, bis Miroul wiederkam und Vitry mit seinen Männern eintraf? Was soll ich darauf erwidern, außer daß einer, der wie ich vom fünfzehnten bis zum vierzigsten Jahr ein abenteuerliches Leben geführt hat, dran gewöhnt ist, seine eigene Tapferkeit auf die Probe zu stellen und sich somit zu vergewissern, daß er mit dem Alter noch keinen Rost angesetzt hat.
    Was nun die kleine Schere und meine Nagelschneiderei anging, so wollte ich mir damit beweisen, daß meine Hände nicht zitterten, und Bahuet von meiner Seelenruhe
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