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Der Stundenzaehler

Der Stundenzaehler

Titel: Der Stundenzaehler
Autoren: Mitch Albom
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durch Übernahmen zum rechten Zeitpunkt mehrere Raffinerien zugelegt und war ein gemachter Mann.
    Die ersten 100.000 Dollar, die er verdient hatte, gab Victor dem amerikanischen Onkel, der ihn großgezogen hatte. Sämtliche anderen Einnahmen investierte er in Autofirmen und Immobilien sowie in den Ankauf einer kleinen Bank in Wisconsin und später in weitere Banken. Sein Vermögen vermehrte sich, und er gründete einen Investmentfonds für Leute, die nach seiner Finanzstrategie arbeiten wollten. Dieses Unternehmen wurde im Laufe der Zeit zu einem der erfolgreichsten Fonds der Welt.

    1965 lernte Victor Grace im Fahrstuhl kennen.
    Er war damals vierzig, sie einunddreißig. Grace arbeitete als Buchhalterin für Victors Unternehmen. An diesem Tag trug sie ein geschmackvoll gemustertes Kleid, eine weiße Strickjacke und eine Perlenkette. Ihr hellblondes Haar hatte sie hochgesteckt. Sie sah hübsch, aber auch patent aus, was Victor gut gefiel. Als die Fahrstuhltür zuging, nickte er Grace zu, und sie blickte zu Boden, weil es sie verunsicherte, ihrem Chef auf so engem Raum gegenüberzustehen.
    Ãœber die Gegensprechanlage fragte Victor Grace, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Er führte sie zum Essen in einen Privatclub aus, und sie unterhielten sich stundenlang. Victor erfuhr, dass Grace direkt nach ihrem Schulabschluss geheiratet hatte. Ihr Mann war im Koreakrieg gefallen, und danach hatte sie sich in Arbeit vergraben. Das konnte Victor gut verstehen.
    In seiner Limousine fuhren sie zum Fluss, spazierten unter der Brücke hindurch. Und auf einer Bank mit Blick auf Brooklyn küssten sie sich zum ersten Mal.
    Zehn Monate nach ihrer Begegnung im Aufzug heirateten die beiden in einer Zeremonie mit vierhundert Gästen, von denen nur sechsundzwanzig von Graces Seite stammten. Alle anderen waren Geschäftskontakte von Victor.
    Z u Anfang ihrer Ehe unternahmen die beiden vieles gemeinsam – sie spielten Tennis, besuchten Museen, reisten nach Palm Beach, Buenos Aires, Rom. Doch als Victors Wirtschafts imperium wuchs, verbrachten sie ihre Zeit immer häufiger getrennt. Victor machte nur noch Geschäftsreisen. Das Tennisspielen gaben sie auf, und die Museumsbesuche wurden rar. Sie hatten keine Kinder, was Grace sehr bereute. Das sagte sie Victor auch, und dieser Wunsch war einer der Gründe für die Entfremdung der beiden.
    Ihre Ehe geriet mehr und mehr zur Farce.
    Grace ärgerte sich über Victors Ungeduld, seine Neigung zur Besserwisserei, seine Angewohnheit, während der Mahlzeiten zu lesen, und seine Bereitschaft, jegliches gesellige Beisammensein für Geschäftsanrufe zu unterbrechen.
    Er verabscheute ihre Kritik an ihm und ihre Langsamkeit, die ihn dazu veranlasste, ständig auf die Uhr zu schauen, wenn sie zusammen aufbrechen wollten. Sie tranken morgens gemeinsam Kaffee und gingen abends gelegentlich essen, doch als ihr Vermögen sich im Laufe der Jahre vermehrte und sie diverse Häuser und Privatjets besaßen, war ihre Ehe nur noch eine Verpflichtung. Beide erfüllten lediglich die von ihnen gesellschaftlich erwartete Rolle. Zumindest war das bis vor kurzem so. Dann wurde für Victor alles von einem einzigen Thema überschattet.
    Dem Tod.
    Und wie er ihn vermeiden konnte.
    Vier Tage nach seinem sechsundachtzigsten Geburtstag suchte Victor in einem New Yorker Krankenhaus einen Onkologen auf …
    â€¦ der einen Tumor von der Größe eines Golfballs nahe der Leber diagnostizierte.
    Victor ließ sämtliche Behandlungsmethoden recherchieren. Er hatte immer schon gefürchtet, dass Gesundheitsprobleme seine Laufbahn bedrohen könnten, und scheute auf der Suche nach Heilung keine Kosten. Er flog zu Spezialisten. Beschäftigte ein Team von Gesundheitsexperten. Dennoch sah es auch nach fast einem Jahr nicht besser für ihn aus. An diesem Tag hatten Grace und er den behandelnden Arzt aufgesucht. Grace hatte eine Frage stellen wollen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
    Â»Grace möchte wissen …«, sagte Victor an ihrer statt, »… wie viel Zeit bleibt mir noch?«
    Â»Optimistisch betrachtet«, antwortete der Arzt, »ein paar Monate.«
    Der Tod näherte sich.
    Doch der sollte sich lieber auf eine Überraschung gefasst machen.

20
    Â»Länger«, sagte die erste Stimme.
    Â»Wer ist da?«, schrie Dor.
    Seit der Alte verschwunden war, hatte Dor versucht, aus der Höhle zu flüchten. Er hatte nach
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