Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sprung ins Jenseits

Der Sprung ins Jenseits

Titel: Der Sprung ins Jenseits
Autoren: Clark Darlton
Vom Netzwerk:
unsterblich.«
    »Unsterblich …?«
    » Bewußt unsterblich«, verbesserte sich Yü Fang. »Denn wir sind immer unsterblich gewesen, seit sich die erste Seele zufällig auf unseren Planeten verirrte und in den Körper eines Urmenschen schlüpfte. Bis dahin ein unintelligentes Wesen, verwandelte sich dieses Geschöpf sofort in einen Menschen, als es die Seele bekam. Es begann, Keulen und Steine als Waffen zu benutzen, entdeckte das Rad und das Feuer. Aber die Seele verliert das Wissen von sich selbst, sie beginnt, rein mechanisch zu handeln. Sie hat keine Erinnerung mehr. Es ist die Aufgabe einiger weniger, die Seele wieder zu entdecken.«
    Ich versuchte zu verstehen, was er meinte. Ich ahnte es, aber ich wußte es noch nicht. Ich hatte viel über diese Dinge nachgedacht, war aber nie zu einem Ergebnis gekommen. Fragen der Seele gehören in den Bereich der Mystik – oder in den Bereich der Religion.
    »Woher wußtest du eigentlich, daß ich kam?« fragte ich plötzlich.
    »Ich fühlte deine Gedanken, und sie wurden immer stärker, je näher du dem Kloster kamst. Ich wußte, daß du zu mir unterwegs warst. Es ist gar nicht so verwunderlich.«
    Natürlich hatte ich von solchen Dingen schon gehört. Man nannte es Telepathie oder Gedankenlesen. Zweifellos waren in einigen Menschen die Anlagen dazu vorhanden, aber entweder verkümmerten sie im Verlauf unserer Entwicklung – oder sie waren gerade erst entstanden. Die Wissenschaft hatte darauf die Antwort noch nicht gefunden.
    »Gibt es viele Menschen, Yü, die sich mit dem Studium der Seele befassen? Ich meine, kennst du andere, mit denen du dich darüber unterhalten hast?«
    Yü nickte.
    »Mein Onkel zum Beispiel. Und ich glaube sogar, daß es für ihn keine Fragen mehr gibt. Aber denke nur nicht, daß er mir hilft. Er hat mir nur den Anfang gezeigt, das ist alles. Ich habe meinen Weg selbst gehen müssen und ich habe fast zehn Jahre dazu gebraucht. Zehn Jahre in diesem Kloster, in dieser Zelle. Eine lange Zeit – aber ich sagte dir ja schon, daß die Zeit keine Rolle spielt. Es gibt unendlich viel Zeit.«
    »Aber das Leben ist doch so kurz …«
    »Der Lebensabschnitt eines Menschen ist kurz«, verbesserte Yü. »Eine Seele hat aber unzählige Lebensabschnitte, denn sie ist unsterblich. Du selbst, deine ganze Existenz, von Geburt bis zum Tod, das ist nichts anderes als ein einziger Lebensabschnitt jener Seele, die in dir wohnt. Denke darüber nach.«
    Er stand auf.
    »Ich glaube, daß es Zeit zum Abendessen wird. Mein Onkel erwartet uns.«
    Wortlos verließen wir die Zelle.
     
    Während wie zu Abend aßen, wurde es vollständig dunkel. An den Wänden flackerten die Öllampen und warfen gespenstische Schatten. Ho Ma Ten, der Abt, murmelte ein Gebet, und dann wurde kein Wort mehr gesprochen. Ich hatte keinen Appetit, aber ich wollte meine Gastgeber nicht beleidigen. Ich kann mich heute nur noch an den schmackhaften Brei und den ausgezeichneten Tee erinnern. Mir zuliebe hatten sie auf die tibetische Art, ranzige Butter in den Tee zu mischen, verzichtet. Ebenso schweigsam, wie wir gegessen hatten, kehrten wir in unsere Zellen zurück. Erst als ich auf Yü Fangs Bett saß, und er die Tür verschlossen hatte, sagte er:
    »Du wirst dich an unser Leben hier gewöhnen müssen. Vielleicht erscheint es dir eintönig und sogar ein wenig streng, aber das gehört zur echten Besinnung. Wie willst du deine Gedanken sammeln, wenn sie dauernd abgelenkt werden? Ich jedenfalls möchte die Stille des Klosters nicht mehr mit dem Lärm der Welt da draußen vertauschen.«
    Ich wartete, bis er sich gesetzt hatte. Er drehte den Stuhl so, daß er mich ansehen konnte. Seit einer Stunde wußte ich schon, welche Frage ich stellen würde. Die Höflichkeit aber gebot mir, zuerst auf Yüs Worte einzugehen.
    »Glaube mir, daß ich dich sehr gut verstehe. Wer auf der Suche nach sich selbst ist, muß sich in die Einsamkeit zurückziehen. Nichts ist schwerer, als sich selbst unter der Masse der Menschen zu finden. Aber ich wollte dich etwas fragen. Ich kam nur noch nicht dazu. Eigentlich ist es nur die Fortsetzung des Gespräches, das wir vor dem Essen führten. Wie willst du es erreichen, Yü, die Seele bewußt zu erleben?«
    »Ich habe es bereits erreicht, Alan. Aber bevor ich es erläutere, Alan, möchte ich, daß du überhaupt die Existenz der Seele akzeptierst. Und zwar nicht den abstrakten Begriff der Seele, sondern die Tatsache. Glaubst du an die Reinkarnation? Glaubst du an die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher