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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Fleurop hatte von seiner OP profitiert. Der größte Strauß kam von Hansen. Aber auch viele andere, der Arbeitsdirektor, seine Sekretärin, die Frauenbeauftragte hatten an ihn gedacht. Der Betriebsrat hatte gesammelt und einen Gutschein für einen Hometrainer geschickt. Sie hatten ihn nicht vergessen. Die Aufmerksamkeiten versöhnten Hübner mit seinem letzten Arbeitstag. An seinem Entschluss würden sie aber nichts ändern. Er würde nicht zur Tawes AG zurückkehren. Sollten die Russen das Unternehmen schlucken, ihm war es egal. Er hatte genug gekämpft in seinem Leben. Den Lauf der Zeit konnte er ohnehin nicht aufhalten. Das hochgepriesene Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft würde dem wachsenden Druck aus den Schwellenländern China, Indien und Brasilien ebenso wenig standhalten können wie dem schmutzigen Kapital, das mit Macht und ungehindert nach Deutschland drängte.
    Nach der Reha würde er mit den Reisevorbereitungen beginnen. Seine Frau würde nicht mitkommen. Ein Trennungsjahr würde ihrer Ehe guttun.
    Tanja kam an sein Bett, prüfte den Blutdruck. Er war ein Glückspilz, die schönste Schwester auf der Station, vermutlich in der gesamten Klinik, betreute ihn.
    „Haben Sie schon gehört, Herr Hübner, der Mordfall Stein ist aufgeklärt.“
    „Nein, habe ich nicht. Woher auch. Ein Radio habe ich nicht, Fernsehen schaue ich nicht und die Zeitung zu lesen, hat mir der Doktor verboten. Ich soll mich nicht aufregen. Wer war’s denn?“
    „Der Ex-Mann der Geliebten.“
    „Tatsächlich? Armes Schwein.“ Die schöne Schwester hatte offenbar eine andere Antwort erwartet. Überraschte braune Kulleraugen starrten ihn an.
    Hübner zog die Bettdecke bis an seine Ohren. „Ich bin müde“, sagte er, bevor er zufrieden einschlief.

58
    Das LKA Niedersachsen präsentierte den Namen des Täters auf einer Pressekonferenz, Fernsehen und Radio gingen auf Sendung und breiteten im weiteren Verlauf des Tages genüsslich die heimliche Beziehung des verheirateten Uwe Stein zu einer verheirateten Frau aus. Die Affäre enthielt alle Zutaten, nach denen der Boulevard verlangt: Heimlichkeit, Sex, Seitensprünge, Karriere, Eifersucht, Gewalt. Kein Kommentator verurteilte Steins Affäre. Der Konsens, dass eine außereheliche Beziehung Privatsache ist, hielt trotz greller Schlagzeilen. Selbst konservative Kreise spielten die Gralshüter der Privatsphäre.
    In vielen Stellungnahmen überwog die Erleichterung, dass sich Vermutungen, es könne einen zweiten Fall Uwe Barschel geben, in Wohlgefallen aufgelöst hatten. Daran wäre die Bürgerpartei zerbrochen; der Glaube an die Funktionsfähigkeit und Legitimität des demokratischen Rechtsstaates hätte weitere hässliche Kratzer erlitten. Dem geschickten Taktiker Bitter und seinem kleinen Kreis von Eingeweihten war es gelungen, Uwe Steins psychopathische Persönlichkeit unter der Decke zu halten.
    Und Marion Klaßen hatte nicht nur sich selbst einen Dienst erwiesen, sondern auch ihrem Idol und Förderer. Dass Stein als Treuhänder jahrelang Geld aus kriminellen Geschäften gewaschen und zuletzt unterschlagen hatte, würde niemals bekannt werden. Auch Steins Witwe würde schweigen – aus Angst um ihre Tochter und weil sie ein neues Leben in einer anderen Stadt beginnen wollte.
    Durch ihr umsichtiges Verhalten hatte Marion dazu beigetragen, dass man sich weiter der Hoffnung hingeben konnte, der Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft funktionierten noch genauso gut wie in den Gründerund Aufbaujahren der Bundesrepublik, bei mancher Kritik im Detail. Der unbequemen Wahrheit, dass immer mehr kriminelle Organisationen Deutschland als Heimspiel betrachteten, bei dem die Politik tatenlos zusah oder sogar ein Teil des neuen Systems wurde, musste man sich nicht stellen.
    Alfred Bitter legte die Zeitungen beiseite. „Auf zum Endspurt!“, sagte er kernig. Er war gut gelaunt wie lange nicht mehr. Besser hatte es für ihn nicht kommen können. Den verhassten Konkurrenten war er los, ohne einen Finger dafür zu rühren, die Chancen standen mehr als gut, dass er in wenigen Wochen eines der größten deutschen Bundesländer mit über 8 Millionen Bewohnern regieren würde. Die neue Werbekampagne lief großartig. Baumgart hatte sich nicht lumpen lassen und noch einmal 200.000 Euro springen lassen.
    Bernd Wagner brummte Zustimmung, in Gedanken war er noch bei dem morgendlichen Streit mit Monika. Er musste sich dringend um sein Privatleben kümmern. Erst die Pflicht, die Wahl gewinnen,
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