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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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weiter zu beachten, ließ Wang Jun den Blick über die Menge schweifen.
    Ein blasses Gesicht tauchte aus dem Strom von Chinesen auf. Ein Ausländer, der irgendwie sonderbar wirkte. Weder ging er entschlossen auf ein Ziel zu, noch stand er gaffend vor der Pracht Chengdus. Vielmehr schien er sich hier wie zu Hause zu fühlen. Sein langer schwarzer Mantel reichte bis zum Boden. Da der Mantel aus glänzendem Stoff war, spiegelten sich das Rot und Blau der Neonlichter und der Schein der Straßenlaternen darin. Die Muster zogen Wang Jun in ihren Bann.
    Er schlich sich näher heran. Der Mann war groß – bestimmt zwei Meter – und trug eine Brille mit dunklen Gläsern, die seine Augen verdeckte. Wang Jun wusste, um was für eine Brille es sich handelte, und war sicher, dass der Mann hinter den tintenschwarzen Ovalen hervorragend sehen konnte. Mikrofasern in den Linsen absorbierten Licht, verstärkten und regulierten es, bis der Mann den Tag vor Augen hatte, auch wenn er sie in der Nacht vor den anderen verbarg.
    Wang Jun wusste auch, dass die Brille wertvoll war und Dreifinger-Gao sie ihm abkaufen würde, falls es ihm gelang, sie zu stehlen. Also beobachtete er den Mann, wie er mit seinem sicheren, arroganten Gang die Straße entlangschritt, und wartete. Klammheimlich heftete Wang Jun sich ihm an die Fersen. Als der Mann in eine kleine Gasse einbog und verschwand, hastete Wang Jun hinterher.
    Er spähte in den engen Rachen der Gasse hinein. Gebäude drängten sich dort im Dämmerlicht. Es roch nach Exkrementen, Tod und Verwesung. Er musste an die Tigerpfote des Tibeters denken, leblos und verdorrt, am Knochen und an den Sehnen mit kleinen Kerben versehen, weil sich einige Kunden bereits ihr auserwähltes Stück Männlichkeit hatten herausschneiden lassen. Platschend hallten die Schritte des Ausländers durch die Nacht; der gleichmäßige Gang eines Mannes, der auch im Dunkeln sehen konnte. Geduckt schlich Wang Jun hinterher, wobei er sich blind vorantasten musste. Er berührte die rauen Wände. Fertigbeton. Die Schwärze streichelnd folgte er der fliehenden Beute.
    Ein Flüstern durchbrach die tröpfelnde Stille. Als Wang Jun erkannte, dass da gefeilscht wurde, musste er lächeln. Besorgte sich der Ausländer ein Mädchen? Heroin? Es gab so viele Dinge, die ein Ausländer kaufen konnte. Er blieb ruhig stehen, um zu lauschen.
    Hörte, wie das Flüstern hitziger wurde, bevor es mit einem überraschten Aufschrei endete. Irgendjemand würgte, keuchte, und dann folgte ein Platschen. Wang Jun sträubten sich die Nackenhaare, und er verharrte so reglos wie der Beton, an den er sich drückte.
    » Kai deng ba «, vernahm er die Worte seiner Heimat. Wang Jun spitzte die Ohren, als er den vertrauten Akzent hörte. Etwas leuchtete auf, und das grelle Licht blendete ihn. Als er wieder sehen konnte, blickte er direkt in die dunklen Augen des tibetischen Straßenhändlers. Der Tibeter lächelte und entblößte dabei erneut verkrustete Zahnreihen. Wang Jun stolperte nach hinten, suchte nach einer Möglichkeit zu entkommen.
    Doch der Tibeter schnappte sich Wang Ju. Zwar wehrte er sich und biss den Tibeter sogar in die Hand, aber der Tibeter war schnell und drückte Wang Jun fest auf den feuchten Gehweg, bis er nichts mehr sehen konnte außer zwei Paar Stiefel – die des Tibeters und die seines Begleiters. Erst wand er sich noch ein wenig, erkannte dann aber, wie sinnlos diese Trotzhandlung war, und gab auf.
    »Ein Kämpfer bist du also«, sagte der Tibeter und drückte ihn noch einen Moment länger auf den Boden, nur um ihm eine Lektion zu erteilen. Dann riss er Wang Jun wieder auf die Beine. Dabei hielt er ihn mit festem Griff am Genick gepackt. » Ni shi shei? «, fragte er dann.
    »Niemand. Ein Bettler. Niemand!«, heulte Wang Jun schlotternd.
    Der Tibeter sah genauer hin und lächelte. »Der hässliche Junge mit den leeren Taschen. Also bist du doch auf die Tigerkralle aus?«
    »Ich bin auf gar nichts aus.«
    »Du wirst auch nichts bekommen«, sagte der Begleiter des Tibeters. Der Tibeter grinste. Wang Jun erkannte gleich, dass die neue Stimme Hunanesisch sprach.
    Der Hunanese fragte: »Wie heißt du?«
    »Wang Jun.«
    »Was für ein › Jun ‹ ?«
    Wang Jun zuckte mit den Achseln. »Weiß ich nicht.«
    Lächelnd schüttelte der Hunanese den Kopf. »Ein Bauernjunge«, sagte er. »Was pflanzt du an? Kohl? Reis?« Er lachte. »Die Menschen in Sichuan sind ungebildet. Du solltest wissen, wie man deinen Namen schreibt. Ich nehme an,
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