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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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zurückgewiesen hatte, traf Wang Jun. Verärgert ließ er sich zu einem »Warum sollte ich das tun?« hinreißen.
    Wieder runzelte der blasse Mann die Stirn und schaute ihn aus blauen Augen kalt und wütend an. »Hat dir der Tibeter nicht gesagt, dass du mir etwas geben sollst?« Er streckte eine behandschuhte weiße Hand aus.
    Wang Jun zuckte mit den Achseln. »Du bist nicht zur Brücke gekommen. Warum sollte ich ihn dir jetzt geben?«
    »Hast du ihn?«
    Wang Jun wurde misstrauisch. »Nein.«
    »Wo ist er?«
    »Hab ihn weggeworfen.«
    Der Mann langte über den Tisch und packte Wang Jun am verschlissenen Kragen. Zog ihn näher zu sich heran. »Gib ihn mir, sofort! Du bist sehr klein, ich kann ihn mir also nehmen, oder aber du gibst ihn mir. Du kannst heute Abend nicht gewinnen, kleiner Wang. Fordere mich nicht heraus.«
    Wang Jun starrte den Ausländer an. Plötzlich sah er etwas Silbernes in dessen Brusttasche aufblitzen. Ohne zu zögern griff er nach dem Glitzerding und zog daran, bis es zwischen ihren Gesichtern hing. Die Gäste an den umliegenden Tischen keuchten auf, als sie erkannten, was Wang Jun da in der Hand hielt. Wang Juns Hand begann zu zittern, schüttelte sich vor lauter Entsetzen immer stärker, bis ihm der abgetrennte Finger des Tibeters mitsamt dem verzierten Türkisring aus der Hand rutschte und mitten in das Yu Xiang- Schweinefleisch plumpste.
    Der Ausländer lächelte ein gleichgültiges Lächeln. Er sagte: »Gib mir den Datenwürfel, bevor ich mir auch von dir noch eine Jagdtrophäe hole.« Wang Jun nickte und griff langsam in die Tasche. Der Blick des Ausländers folgte seiner Bewegung.
    Vor lauter Verzweiflung streckte Wang Jun die andere Hand aus und nahm sich eine Handvoll siedend heißen Mapo Tofu vom Teller. Ehe der Mann reagieren konnte, hatte er ihm das Tofu-Chili-Pfeffer-Gemisch direkt in die blauen Augen geschleudert. Während der Ausländer aufheulte, versenkte Wang Jun seine spitzen gelben Zähne in das blasse Fleisch der Hände, die ihn festhielten. Nachdem der Fremde Wang Jun losgelassen hatte, rieb er sich mit blutenden Händen wie wild die brennenden Augenhöhlen.
    Wang Jun nutzte die neugewonnene Freiheit, ließ den brüllenden Ausländer zurück und rannte in die Dunkelheit der Gassen und Seitenstraßen, die keiner so gut kannte wie er.
     
    Als der Regen stärker wurde, kehrte die Kälte nach Chengdu zurück, und zwar heftiger noch als zuvor. Betonböden und Gemäuer strahlten Kälte ab, Wang Juns Atem bildete kleine Nebelwölkchen. Gekrümmt hockte er in dem Karton, auf dem das Logo von Stone Ailixin Computers prangte. Aus den Bildern unter dem Logo hatte er geschlossen, dass er einmal für Satellitentelefone verwendet worden war. Von den Überresten seiner Kindheit umgeben, kauerte er sich darin zusammen.
    Er konnte sich noch immer an den Landstrich erinnern, aus dem er stammte, an ein Zuhause aus Lehmziegeln. Deutlicher noch standen ihm die Berge mit den Reisterrassen vor Augen, und wie er an diesen glitzernden Feldern entlanggerannt war. Während seine Eltern, bis zu den Knöcheln im braunen Wasser stehend, gearbeitet hatten und überall grüne Reistriebe aus der Brühe emporschossen, hatte er mit einem Micro Machine -Flieger in der Hand im warmen Sommerschlamm gesessen und gespielt. Als er später aus seinem stillen Dorf weggegangen war, hatte ihn sein Weg wieder an ebendiesen Terrassen vorbeigeführt. Da niemand sie abgeerntet hatte, waren sie saftig grün gewesen.
    Im kalten Fertigbetonschatten der Wolkenkratzer streichelte er sein Spielzeug-VTOL. Die Flügel, die sich nach oben und unten klappen ließen, waren abgebrochen und längst verloren gegangen. Er drehte es um und betrachtete den druckgegossenen Eisenrahmen. Dann zog er den Datenwürfel hervor und starrte ihn an. Wog das Spielzeug und den Würfel gegeneinander ab. Dachte schaudernd an den abgetrennten Finger des Tibeters mit dem silbernen Ring zurück. Der weiße Mann mit den blauen Augen würde nach ihm suchen. Er schaute sich in seiner Kiste um. Die Micro-Machine steckte er in seine Tasche, die unansehnliche Decke aber ließ er zurück. Dann nahm er seine gelbe Anchuan Maozi , die Verkehrssicherheitsmütze für Schulkinder, die er einem noch kleineren Jungen abgenommen hatte. Nachdem er sich die gelbe Wollkappe über die Ohren gezogen hatte, verstaute er den Datenwürfel wieder in seiner Tasche und ging fort, ohne noch einmal zurückzublicken.
     
    Dreifinger sang gerade schwülstige Liebeslieder in einer
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