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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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ihnen:
    »Wenn ihr nicht aufhört, nehm ich euch beiden das Brot weg und geb’s dem Brigadiere hier, der isst’s dann ganz allein. Geht jetzt, los, und bleibt in der Wohnung!«
    Maione wünschte, sie würden keine Ruhe geben und er sähe sich – natürlich aus Gründen der Erziehung – dazu gezwungen, die zwei Stücke Brot zu essen. Vielleicht sogar, nur damit sie ein wenig besser rutschten, in Tomatensoße getunkt. Die Kinder allerdings rannten verängstigt die Treppe hinauf, jedes mit seinem Schatz in der Hand. Der Brigadiere seufzte.
    »Hübsche Kinder. Sind das Ihre?«
    »So ist es, eine wahre Strafe Gottes. Und oben habe ich noch zwei, einen älteren Sohn und ein kleines Mädchen. Aber diese beiden sind die frechsten.«
    Mariuccia wollte den Kindern folgen, doch Maione hielt sie per Handzeichen davon ab.
    »Signora, Sie müssen leider hierbleiben, bis der Commissario sagt, dass Sie gehen dürfen. Vielleicht können Sie mir in der Zwischenzeit ein paar Fragen beantworten, zum Beispiel, wie die Wohnung der Herrschaften aufgeteilt ist? Gibt es Privaträume, gemeinsame Räume, und wie viele?«
    Bei Maiones Worten nahm die Haushälterin Signora Concetta eine Haltung ein, die dem Brigadiere merkwürdig defensiv vorkam: »Ach, wissen Sie, Brigadiere, jeder der drei hat seine eigenen Zimmer, sie sehen sich nicht besonders oft.«
    Sciarra zog die riesige Nase kraus.
    »Also eigentlich sehen sie sich so gut wie nie. Der Herzog hütet das Bett und bewegt sich nicht von der Stelle, Herr Ettore ist immer auf der Terrasse, bei seinen Blumen und Pflanzen, und die Herzogin …«
    Concetta bedachte ihn mit einem tödlichen Blick.
    »Es wäre besser, jeder würde sich an seinen Platz halten. Sie lernen wohl nie, dass wir Bedienstete sind und uns das, was die Herrschaften tun, nichts angeht.«
    »Warum werden Sie so böse, Donna Concetta, was hab ich denn Falsches gesagt? Ich wollt nur sagen, dass jeder für sich lebt, bloß um dem Brigadiere zu erklären, dass es zwar gemeinsame Räume gibt, die aber nicht gebraucht werden.«
    Nun schaltete sich Mariuccia ein, immer noch in ihr Taschentuch schniefend.
    »Das stimmt, die Zimmer nutzt niemand, aber die Herzogin wünscht, dass immer alles sauber ist; sobald sie merkt, dass etwas nicht ist, wie’s sein soll, ruft sie mich zu sich und nimmt mich ins Gebet. Das heißt, nahm mich ins Gebet. Jetzt wird sie’s nicht mehr tun …« – wieder schluchzte sie verzweifelt. Ihr Mann mischte sich ein:
    »Was redest du denn für dummes Zeug, Mariuccia, man könnte fast meinen, es tut dir leid, dass die arme Herzogin dich nicht mehr schimpfen kann.«
    Wieder hielt Concetta es für angebracht, Peppino zu belehren.
    »Nein, Sie sind’s, die nicht verstehen, dass sich jetzt, nach dem Tod der Herzogin, in der Haushaltsführung vielleicht einiges ändern wird. Was, wenn man uns gar nicht mehr braucht und wir demnächst auf der Straße sitzen?«
    Sciarra zuckte mit den Schultern.
    »Ach woher denn! Der Herzog und der junge Herr werden uns sogar noch dringender brauchen. Wer soll denn den ganzen Laden hier am Laufen halten?«
    Maione folgte dem Wortwechsel scheinbar zerstreut, in Wahrheit entging ihm jedoch nicht das kleinste Detail. Erhatte begriffen, dass in dem Palazzo nicht etwa eine Familie lebte, sondern fünf verschiedene Einheiten: die Sciarras, Concetta und die drei Mitglieder der Herzogsfamilie, die nur das Allernötigste miteinander zu tun hatten. Er hatte sich gerade vorgenommen, seine Beobachtungen Ricciardi mitzuteilen, als der Kommissar auch schon wieder in der Tür erschien und ihn bat hereinzukommen.
     
    Inzwischen hatte die Sonne das Vorzimmer geflutet und die Temperatur empfindlich steigen lassen. Ricciardi und Maione begutachteten Ausstattung, Bilder und Möbel. Ihre geübten Blicke entdeckten sofort zahlreiche Silberobjekte, wertvolle Gemälde, zwei chinesische Vasen und eine antike Bronzestatue: Es war nichts gestohlen worden. Falls es einen entsprechenden Versuch gegeben haben sollte, war der Dieb dabei gestört worden und hatte sein Werk offensichtlich nicht zu Ende gebracht. Es gab auch keine Anzeichen einer tätlichen Auseinandersetzung, nichts war zerbrochen oder umgeworfen worden. Einziges sichtbares Zeichen des Geschehenen war ein viereckiges Kissen, das zu Füßen der Leiche am Boden lag und auf dessen Oberseite sich ein Loch befand. Ricciardi drehte es nicht um, da er nichts verändern wollte, bevor der Fotograf kam, doch hätte er schwören können, dass der Stoff
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