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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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schlafen, sie bewegte sich die ganze Zeit. Ich ging hinaus, ohne Krach zu machen, und sah niemanden, aber ich war mir sicher, dass jemand die Treppe hinuntergegangen war. Eine meiner Puppen lag auf dem Boden. Ich nahm sie und ging in den Garten.«
    Iris sitzt am Beckenrand, im Nachthemd. Ihre Augen sehen nur die Puppen. Die ganze Nacht hat sie nicht geschlafen, hat sie nur angestarrt. Sie gehören Inés, und sie hasst die Puppen, wie sie sie nur hassen kann. Einigen hat sie den Kopf und die Arme abgerissen, bevor sie sie ins Wasser warf, andere hat sie untergetaucht, wie um sie zu ertränken. Nur eine hält sie noch in der Hand, die Lieblingspuppe ihrer Schwester, und bevor sie sie zu den anderen wirft, betrachtet sie zufrieden ihr Werk. Das Becken ist jetzt ein Teich voller kleiner Plastikkörper, die still dahintreiben. Sie merkt nicht, dass Inés da ist, erst als sie ihre Stimme hört.
    »Was machst du da?«
    Sie lacht wie eine Besessene. Inés bückt sich und fischt die Puppen heraus, die am Rand schwimmen. Das Wasser ist eiskalt, aber es sind ihre Puppen, sie liebt sie.
    »Fass die nicht an!«
    Iris will sie zurückhalten. Sie packt sie, wälzt sich mit ihrüber den Boden, aber auch wenn Inés kleiner ist, sie selber ist sehr schwach. Inés versucht sich aus dem Griff ihrer Schwester zu befreien, und beide ringen miteinander, am Beckenrand, rollen hin und her, bis sie ins Wasser fallen. Inés spürt, wie der Griff sich lockert, wie die Kälte in ihren Körper eindringt. Sie schafft es kaum, an die Oberfläche zu kommen und wie ein Hündchen bis zur Leiter zu paddeln. Dann schaut sie sich um. Iris taucht langsam vom Grund auf, wie eine große, tote Puppe.
    »So war es«, sagte Inés. »Ich bin weggerannt und habe mich versteckt. Mama hat mich irgendwann gefunden, meine Haare waren noch nass. Sie hat mich umarmt und gesagt, ich solle mich beruhigen, es sei ein Unfall gewesen. Pater Fèlix würde sich um alles kümmern.«
    Alle schwiegen. Pater Castells hatte sich gesetzt, weiterhin mit gesenktem Blick.
    »Mein Gott«, sagte Joana. »Und Marc?«
    »Marc wusste nichts davon, Joana«, antwortete Fèlix. »Ich habe mich darum gekümmert. Ich habe mich um alles gekümmert. Ihr könnt sagen, ich habe falsch gehandelt, aber ich schwöre euch, ich habe versucht, das Richtige zu tun.«
    »Ach ja?«, sagte Héctor. »Ich bezweifle, dass das Verschweigen eines Kindesmissbrauchs das Richtige ist, Pater. Sie kannten die Wahrheit. Sie wussten, dass Iris außer sich war, und sie kannten auch den Grund.«
    »Wozu sollte es noch gut sein?«, rief Fèlix. Er war plötzlich aufgestanden, und sein gerötetes Gesicht deutete an, welcher Sturm in seinem Inneren tobte. »Iris war tot, und ihre Schwester hatte keine Schuld!« Er schluckte und fuhr fort, leiser jetzt, aber genauso angespannt: »Ja, ich hatte Zweifel an Iris’ Geschichte. Vielleicht habe ich der Sachenicht die rechte Bedeutung beigemessen. Ich dachte, ein Teil sei wahr und ein anderer die Fantasie eines Problemkindes. Aber nachdem sie tot war, sagte ich mir, wenn ich den ganzen Dreck ans Licht bringe, wird ihre kleine Schwester mit schrecklichen Dingen konfrontiert. Ihre Mutter bat mich, sie zu schützen. Und ich habe mich für die Lebenden entschieden, Herr Inspektor. Dem Inspektor, der damals zuständig war, habe ich die Wahrheit gestanden«, sagte er, ohne Savall zu nennen. »Ich habe ihn gebeten, nicht weiter zu ermitteln. Und er war einverstanden.«
    »Aber Sie haben ihm nicht erzählt, dass Sie einen Kinderschänder frei herumlaufen lassen, oder? Sie haben ihm nur von einem Streit unter Schwestern erzählt, von einem bedauerlichen Unfall. Und der Betreuer?«
    »Mit dem habe ich auch gesprochen.« Er wusste, dass es mittlerweile egal war, dass seine Rechtfertigungen vor ihnen verpufften, aber er sprach trotzdem weiter. »Er hat mir versichert, es würde nicht wieder vorkommen, er würde sich bessern, es sei nur dieses eine Mal gewesen, weil ...«
    »Weil Iris es so gewollt hatte, nicht wahr?«, mischte Leire sich ein.
    Fèlix schüttelte den Kopf.
    »Er war ein guter Junge, aus gutem Hause. Er glaubte an Gott und hat mir versprochen, dass es nicht wieder passiert. Die Kirche predigt Vergebung.«
    »Die Justiz, Pater, predigt etwas anderes«, fuhr Héctor ihn an. »Aber Sie und Ihre Kirche glauben, Sie stehen darüber, ist es nicht so?«
    »Nein ... ich weiß nicht.« Fèlix schaute wieder zu Boden. »Dasselbe habe ich Marc gesagt, als er zu mir kam, nach seiner
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