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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler
Autoren: Robert Hueltner
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dem erbosten Sohn ins Gewissen redete und ihn von der Unschuld des Vaters überzeugte. Daraufhin versöhnten sich Vater und Sohn über dem Grab der jungen Frau – das Eis war endgültig gebrochen, als der alte Vater auch noch die Kosten für einen prunkvollen Grabstein zu übernehmen versprach. Vater und Sohn kamen überein, den Vicedom nun seinerseits vor Gericht zu stellen und zum Tode zu verurteilen. Das Stück endet mit Hochrufen auf den Edelmut der beiden Durchlauchten Herren sowie der rituellen Anrufung, dass Baiern lang leben möge.
    Die feinen Unterschiede zwischen Wirklichkeit und dichterischer Umwidmung waren den beinahe fünfhundert Zuschauern, die schon seit dem Nachmittag auf den primitiven Sitzplanken dicht an dicht saßen, völlig egal. Von der ersten Szene an waren sie hingerissen.
    Dabei war es beileibe nicht so, dass sie noch nie ein Theaterstück gesehen hätten.Was sie aber bisher geboten bekommen hatten, waren hölzerne Deklamationen gewesen, von untalentierten jesuitischen Novizen absolviert, lieblos und herablassend.
    Damit jedoch, was sie jetzt von der ›Schikanederischen Schau- und Operngesellschaft‹ zu sehen und hören bekamen, hatten sie nicht gerechnet. Dieses Spiel wollte sie nicht belehren, nahm sie ernst, suchte ihr Gefallen. Es zeigte all jene Höllen und Paradiese, die sie selbst schon durchlebt hatten, es gab ihren Gefühlen Worte und Bilder, ihrer unterdrückten Wut wie ihren unerfüllten Sehnsüchten. Sie kannten sie alle, die verzweifelt Liebenden, die zu Tode Trauernden, die gnadenlosen Richter, die rücksichtslose Obrigkeit. Und auf dieses derart intensive Agieren, auf dieses geradezu schamlose Ausstellen rasender Leidenschaften waren sie erst recht nicht vorbereitet. Es packte sie an der Kehle, schleuderte sie hin und her, trieb ihnen Tränen in die Augen, entlockte ihnen einmal brüllendes Gelächter und würgte sie dann wieder bis zur Atemnot.
    Darauf waren sie nicht gefasst.

36
    S chikaneder hatte es bald aufgegeben, die Zahl der Zuschauer zu schätzen. Es genügte ihm zu wissen, dass mit den Einnahmen seine Geldsorgen für die nächsten Tage hinfällig sein würden. Schon am frühen Nachmittag war das Dorf aus allen Nähten geplatzt. Aus den entlegensten Weilern, aus den Nachbardörfern eilten die Leute herbei, erwartungsfroh und in festlicher Tracht aufgeputzt, als hätte der Kurfurst persönlich seinen Besuch angekündigt. Die Sonne schien wie bestellt, die Luft war mild, und auch den Spielort hatte der Prinzipal gut gewählt. Die gestufte Uferterrasse bildete ein natürliches Amphitheater, dessen Blickrichtung sich exakt auf einen in den Fluss ragenden Fischersteg zentrierte.
    Dieser war jetzt noch mit übermannshohen Kortinen verhangen, die den Eingang einer Burg darstellen sollten. Denn nun – nachdem das gerührte Publikum den Liebesschwüren der Agnes Bernauer und des Herzogssohns bereits hatte lauschen können – stand die Wende ins Tragische bevor. Der junge Held, den natürlich der Prinzipal selbst verkörperte, sollte entdecken, dass seine Geliebte in seiner Abwesenheit entführt worden war.
    Die Kapelle intonierte einen Fanfarenstoß. Alle Blicke richteten sich auf die Bühne. Doch außer, dass der Wind die Kortinen blähte und so die Illusion einer festen Burg ein wenig unterlief, geschah nichts. Hälse reckten sich.
    Wieder ertönte ein Fanfarenstoß.
    Was war los? Eine Panne? Unruhe kam auf. Doch pötzlichging ein Raunen durch die Zuschauergruppe, die flussaufwärts sehen konnte. Langsam setzten sich die erstaunten Rufe über das Halbrund fort. Zischend wurden Zuschauer zurechtgewiesen, die aufgestanden waren und, die Hand schützend über den Augen, die träge Wasserfläche absuchten.
    Und dann sahen es alle: In majestätischer Langsamkeit glitt ein prächtig aufgeputzter Nachen heran. Fahnen und Wimpel flatterten, Rüstungen glänzten, und am Bug stand der Herzogssohn, strahlend, die Hand auf der liebenden Brust, ungeduldig seine Ruderer antreibend, voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit der Geliebten. Den Zuschauern krampfte sich das Herz augenblicklich zusammen. Sie ahnten, was geschehen würde. Im Gegensatz zum Herzogssohn hatten sie in der vorherigen Szene den Vicedom kennen und fürchten gelernt, welcher kein Hehl aus seinem mörderischen Plan gemacht hatte.
    Mit wachsender Bestürzung beobachtete die Menge, wie sich das Boot näherte und schließlich anlandete. Der Herzogssohn sprang hochgemut in den Sand, scherzte mit seiner
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