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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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reglos eine schwarze Katze. Im Auto lief die Klimaanlage, sodass wir die Hitze nicht spürten, dafür konnten wir sehen, wie sie die Luft über dem Asphalt und der Motorhaube zum Flimmern brachte. Ein Lastwagen kam uns entgegen, und der Luftzug ließ unseren Wagen erzittern. Nachdem der Motorlärm verstummt war, entstand eine bedrückende Stille. Meine Mutter ließ den Berg vor uns auf sich wirken, während ich mich mit dem befasste, der sich in mir auftürmte.
    »Du musst dir das so vorstellen: Es ist, als wollte man sich vor etwas drücken. Man verschiebt es erst auf den nächsten und dann auf den übernächsten Tag. Nicht dass man es vergisst, es wird eher zu einer Art Hintergrundrauschen. Aber man gewöhnt sich daran und hofft, dass sich das Problem irgendwann von selbst löst, gewissermaßen wie durch ein Wunder. Man hofft, dass man eines Tages aufwacht und alles vorbei ist.«
    »Aber wir reden hier nicht vom Geschirrspülen«, sagte ich.
    Sie sah mich schräg von der Seite an. »Ich hasse dich, wenn du so bist!«
    »Wenn ich wie bin?«
    »Wenn du besonders schlau sein willst, so tust, als wärst du der Erwachsene.«
    »Warum hast du mir nie von ihm erzählt?«
    Sie öffnete das Fenster, und ein heißer Luftschwall strich über unsere Haut. Sie suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten und steckte sich eine an. »Das, was einem ganz besonders nahegeht, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Das klingt paradox, ich weiß, aber noch komplizierter wird es, wenn es um Menschen geht, die einem nahestehen. Ganz einfach, weil das mit Worten nicht zu beschreiben ist. Worte lassen Dinge, die riesige Ausmaße für uns angenommen haben, unbedeutend erscheinen. Verstehst du, was ich meine, Zeno?«
    »Nein.«
    »Kennst du das nicht, dass es dir schwerfällt, etwas zuzugeben? Nur um dann festzustellen, dass niemand bemerkt hat, wie sehr du darunter gelitten hast? So sehr, dass dir zum Heulen zumute war, wenn du es dann endlich zugegeben hast? Kennst du das nicht?«
    »Doch.«
    »Woher denn?«
    »Ich habe es vor zwei Jahren erlebt, mit Papà und dir.«
    Sie rutschte näher zur Tür, um mich besser ansehen zu können.
    »Erzähl!«
    »Das ist nicht so wichtig.«
    »Bitte!«
    Es war ein schöner Sommerabend gewesen, und meine Mutter hatte nach dem Abendessen eine aufgeschnittene Ananas auf den Terrassentisch gestellt. Mein Vater und ich waren verrückt nach Ananas. An jenem Abend gab es aus irgendeinem Grund nur eine, was ich aber nicht wusste. Vielleicht hatte meine Mutter uns auch darauf aufmerksam gemacht, ohne dass ich das mitbekommen hatte. Dass es nur eine gab, betone ich deswegen, weil wir aufgrund unserer Ananasleidenschaft immer mehrere vorrätig hatten. Nachdem meine Mutter diese Ananas also auf einem Teller serviert hatte, hatte ich mich darauf gestürzt und alle Scheiben verschlungen, noch bevor mein Vater aus dem Keller kam. Er holte gerade einen Dessertwein, den er für solche Abende aufgehoben hatte. Als er auftauchte, erwartete ich, dass er mich neckte, mich einen schrecklichen Nimmersatt nannte oder so. Er war aber nur schrecklich enttäuscht. Das Ganze war natürlich nicht weiter tragisch, trotzdem war er enttäuscht. Und vor allem meine Mutter regte sich fürchterlich auf und nannte mich einen Egoisten. Ich weiß noch, wie das Wort zwischen den Blättern des Orangenbaums widerhallte: Egoist.
    Ich hatte damals versucht, mich zu rechtfertigen, mich zu entschuldigen – vergeblich. Die Worte waren mir im Hals stecken geblieben. Ich war aufgestanden und auf mein Zimmer verschwunden. Tage später, als der Vorfall längst vergessen war, hatte meine Mutter eine Ananas auf den Tisch gestellt, bei deren Anblick ich in Tränen ausbrach.
    »Damals habe ich euch erklärt, warum ich weine«, sagte ich nun zu meiner Mutter, die den Kopf an die Scheibe gelehnt hatte und mich verblüfft ansah.
    »Aber ihr habt es nicht verstanden. Ihr konntet euch nicht mal mehr an den Vorfall erinnern.«
    Die Frau aus dem gelben Haus hatte ihre Wäsche aufgehängt und sich die Schuhe ausgezogen. Jetzt saß sie in einem Korbschaukelstuhl und las Zeitung. Ich sah, wie die Katze aufwachte, sich reckte und von ihrem Platz neben den Blumentöpfen direkt auf den Stuhl und in die Arme ihrer Herrin sprang.
    »Wie gesagt, es ist nicht so wichtig.«
    »Aber für dich war es wichtig!«, beharrte sie.
    »Ja.«
    »Und ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern.«
    »So was kommt vor.«
    »Aber das sollte es nicht«, sagte sie. »Wir sollten sorgsamer
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