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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Autoren: Torsten Fink
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weit von den Zelten entfernt, die Gesichter angstverzerrt, in den Adern kein Tropfen Blut mehr, und kein Zauber vermochte den Schrecken zu bannen. Wenn aber einmal keine Bedrohung von außen kam, dann stritten die Sippen und Stämme untereinander, und nie fanden sie Ruhe. Finstere Zeiten waren das, und wer Hakul war, verfluchte die Götter dafür, dass er diesem Volk angehörte.
    Genau zu dieser Zeit aber wurde in einem Zelt, unweit der Schwarzen Berge, also gar nicht weit von hier, ein Knabe geboren, Etys genannt. Er war der Sohn eines Schmiedes und wuchs selbst zum besten aller Schmiede heran. Er sah das Elend seines Volkes, und da er ein frommer Mann war, betete er viel zu den Hütern, den vier Erstgeborenen Göttern, doch erhörten sie ihn nicht. Und Etys tadelte die Götter für ihre Untätigkeit. Sein Vater aber mahnte seinen Sohn, sich nicht an ihnen zu versündigen. Etys aber erwiderte: ›Sie hören mich nicht, wenn ich zu ihnen bete, so werden sie mich auch nicht hören, wenn ich sie verfluche. Doch will ich nicht hinnehmen, dass sie sich taub stellen. Ich werde an ihr Nachtlager treten und sehen, ob ich sie nicht doch wecken kann.‹ Etys wusste natürlich, dass die Hüter in tiefem Schlaf liegen, seit der Kriegsgott sie überlistet und die Macht über diese Welt an sich gerissen hat. Und er erklärte, dass er, falls er die Erstgeborenen nicht wecken könne, eben zu Edhil selbst gehen und ihn um Hilfe bitten wolle. Sein Vater erschrak, denn er fürchtete, sein Sohn sei dem Wahnsinn verfallen. Wie könnte ein Hakul es wagen, die Hüter, ja sogar den Schöpfergott selbst anzusprechen, der fern von den Menschen im Sonnenwagen über den Himmel zieht? Er versuchte Etys
sein Vorhaben auszureden, doch sein Sohn war von starkem Sinn und ließ sich nicht beirren.«
    Elwah stocherte mit einem langen Ast im Feuer, um die Glut anzuheizen, dann fuhr er fort: »Er ging nach Osten, in das hohe Gebirge, hinter dem Edhil des Morgens zu erscheinen pflegt und das wir deshalb das Sonnengebirge nennen. Sieben Jahre stieg Etys durch das Gebirge und suchte jenen höchsten Gipfel, auf dem die Götter ruhen sollen. Und immer wenn er dachte, er habe ihn erreicht, sah er, dass es noch einen anderen gab, der höher war. Also stieg er wieder ins Tal hinab und den nächsten Berg hinauf. Durch dichten Schnee und eine Kälte, die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt, kletterte er Tag um Tag, immer auf der Suche nach dem Berg der Götter.«
    Elwah legte eine Pause ein und starrte ins Feuer. Etys musste ein ausgesprochen sturer Mann gewesen sein, dachte er für sich. Und er dachte an seinen Jüngsten, der ein Trotzkopf war und der jetzt ganz allein in der Nacht in dieser Schlucht saß und auf den Aufgang der Sonne warten musste. Er war zu hart gewesen, viel zu hart. Gleich im Morgengrauen würde er aufbrechen und nach Lewe suchen. Er seufzte. Seine vier Söhne starrten ihn gebannt an. Seltsam, dass sie diese Geschichte immer wieder hören wollten. »Schließlich, als selbst Etys’ unerschütterlicher Geist beinahe ins Wanken geriet«, fuhr Elwah mit seiner Erzählung fort, »erklomm er einen Berg, dessen Haupt die Wolken durchstieß. Und über den Wolken ragte er noch einmal so hoch auf wie schon unter ihnen. Etys kletterte und stieg immer weiter, denn immer noch war der Gipfel fern. Und als er über den gefrorenen Fels kletterte, da wurde es plötzlich hell um ihn, und eine Stimme sprach: ›Mensch aus dem Staubland, hoch bist du gestiegen. Was suchst du an der Schlafstatt der Götter? Hast du keine Angst vor dem Abgrund, der dich umgibt?‹
    Etys schloss geblendet die Augen, denn es war Edhil selbst,
der ihn angesprochen hatte! Und der Held nahm all seinen Mut zusammen und erwiderte: ›Ich werde noch höher steigen, denn es scheint, als würden die Götter die Hilfeschreie meines Volkes nicht hören, wenn sie aus der Steppe gen Himmel gerufen werden. Jetzt will ich sehen, ob sie mich auch noch überhören, wenn ich an ihrem Nachtlager stehe.‹
    ›Aber die Hüter schlafen, Hakul, und du kannst sie nicht wecken‹, beschied ihn der Gott.
    ›Dann musst eben du meine Klagen hören, Sonnengott‹, antwortete der Held. Und dann schilderte Etys dem Schöpfergott die Not der Hakul. Die Augen hielt er dabei stets geschlossen, denn das Licht des Sonnengottes strahlt zu hell für uns Menschen, und Etys fürchtete, zu erblinden. Und Edhil hielt den Sonnenwagen an und lauschte, denn er erkannte, dass Etys ein reines Herz hatte und seine
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