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Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn
Autoren: Orson Scott Card
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Kleinpeggy.
    »Kopf zuerst? Das Gesicht nach unten?«
    Kleinpeggy nickte.
    »Warum kommt es dann nicht?« wollte Mama wissen.
    »Sie hat ihm gesagt, er soll nicht«, sagte Kleinpeggy und blickte dabei auf die Mutter.
    »Im Wagen«, erklärte die Mutter. »Er wollte kommen, da habe ich eine Beschwörung gemacht.«
    »Na, das hättet Ihr mir gleich sagen sollen«, warf Mama scharf ein. »Bittet mich um Hilfe und teilt mir nicht einmal mit, daß ein Zauber auf ihm liegt. Du da, Mädchen!«
    Mehrere von den jüngeren Kindern standen neben der Wand mit weiten Augen und wußten nicht, welche gemeint war.
    »Irgendeine von euch, ich brauche den Eisenschlüssel am Ring dort an der Wand.«
    Die größte nahm ihn unbeholfen vom Haken und brachte sie mitsamt dem Ring herbei. Mama ließ den großen Ring und den Schlüssel über dem Bauch der Mutter baumeln und sang dabei leise:
    Hier der Kreis weit offen ist,
    hier der Schlüssel fährt hinaus,
    Erd' sei Eisen, Flamme gütig,
    fall vom Wasser in die Luft.
    Plötzlich schrie die Mutter vor Schmerz auf. Mama warf den Schlüssel beiseite, riß das Laken zurück, hob die Knie der Frau an und befahl Peggy, zu sehen.
    Kleinpeggy berührte den Mutterschoß der Frau. Der Geist des Jungen war leer bis auf ein Gefühl des Drucks und der sich sammelnden Kälte, als er in die Luft hinaustrat. Doch gerade diese Leere ließ sie Dinge erkennen, die niemals wieder so deutlich sichtbar sein würden. Die Milliarden und Abermilliarden Wege seines Lebens lagen frei vor ihm, erwarteten seine ersten Entscheidungen, die ersten Veränderungen in der Welt um ihn herum, um mit jeder Sekunde Millionen von Zukünften auszulöschen. Die Zukunft lag offen in jedermann, ein flackernder Schatten, den sie nur manchmal sehen konnte, und niemals deutlich genug, da sie durch die Gedanken des gegenwärtigen Augenblicks schauen mußte; doch hier konnte Kleinpeggy sie für einige kostbare Momente ganz deutlich sehen.
    Und was sie erblickte, war der Tod am Ende jedes Weges: Wasser, Wasser – jeder Zukunftspfad führte dieses Kind zu einem Tod durch Wasser.
    »Warum haßt ihr ihn so!« rief Kleinpeggy.
    »Wie?« warf Eleanor ein.
    »Still«, sagte Mama. »Laß sie sehen, was sie schaut.«
    Im Inneren des ungeborenen Kindes erschien der dunkle Wasserfleck, der sein Herzensfeuer umgab, so entsetzlich stark, daß Kleinpeggy schon fürchtete, daß er davon verschlungen werden würde.
    »Holt ihn raus, damit er atmen kann!« rief Kleinpeggy.
    Mama griff hinein, auch wenn es die Mutter schrecklich aufriß, packte das Baby mit kräftigen Fingern am Nacken und zog es hervor.
    In diesem Augenblick, da die dunklen Wasser im Geist des Kindes sich zurückzogen und kurz vor dem ersten Atemzug, sah Kleinpeggy zehn Millionen Wassertode verschwinden. Nun, zum allerersten Mal, gab es auch einige offene Wege, einige, die in eine prachtvolle Zukunft führten. All die Wege, die nicht in einem frühen Tod endeten, hatten eins gemeinsam: Überall sah sich Kleinpeggy selbst, wie sie etwas ganz Einfaches tat.
    Also tat sie es. Sie nahm die Hände von dem erschlaffenden Bauch und duckte sich unter dem Arm der Mutter. Der Kopf des Säuglings trat gerade heraus und noch immer mit einem blutigen Netz bedeckt, ein Fetzen des Sacks aus weicher Haut, in der er im Leib seiner Mutter geschwebt hatte. Sein Mund war offen, saugte die Hauthaube von innen ein, doch sie brach nicht, und er konnte nicht atmen.
    Kleinpeggy tat, was sie sich in der Zukunft des Säuglings hatte tun sehen. Sie streckte die Arme vor, nahm das Hautstück unter dem Kinn des Säuglings auf und riß es ihm vom Gesicht. Sobald es fort war, atmete der Junge tief ein und stieß dann jenen ersten Schrei aus, den gebärende Mütter als Gesang des Lebens vernehmen.
    Kleinpeggy faltete die Hauthaube zusammen, ihr Geist war noch immer erfüllt von den Visionen, die sie entlang der Pfade des Lebens dieses Säuglings geschaut hatte. Sie wußte noch nicht, was diese Visionen zu bedeuten hatten, doch waren die Bilder in ihrem Geist so klar, daß sie sie niemals vergessen würde. Sie machten sie furchtsam, weil soviel von ihr abhängen würde, und auch davon, wie sie mit der Nachgeburt umging, die immer noch warm in ihren Händen lag.
    »Ein Junge«, sagte Mama.
    »Ist er einer?« flüsterte die Mutter. »Ein siebenter Sohn?«
    Mama band gerade die Nabelschnur ab, so daß sie Kleinpeggy keinen Blick gewähren konnte. »Sieh hin«, flüsterte sie.
    Kleinpeggy hielt Ausschau nach dem einzelnen
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