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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler
Autoren: Peter Orontes
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vergalt es ihm mit einer großzügigen Geste. Er räumte ihm fortan das Recht ein, sich völlig frei in den klösterlichen Auen und Wäldern bewegen und ohne Einschränkung jagen und fischen zu können.
    Allerdings glaubte Wolf, dass dieses Zugeständnis Metschachers lediglich dem Anstand geschuldet und aus der Erkenntnis heraus geboren worden war, ihm, dem Lebensretter, Dankbarkeit zollen zu müssen. Obgleich das Ereignis jenes Wintertages zweifelsohne ein Gefühl gegenseitiger Wertschätzung in ihnen hatte entstehen lassen, war ihre Beziehung von herzlicher Freundschaft noch immer weit entfernt. Das Einzige, was von einer gewissen Vertrautheit zwischen ihnen zeugte, war, dass sie sich beim Vornamen nannten, wobei sie es allerdings vorzogen, gleichzeitig das förmliche „Ihr“ beizubehalten. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Auf der einen Seite der Prior: ein kompromissloser Mann der Kirche, umgeben von einer Aura subtiler Anmaßung, unduldsam gegenüber allem, was er für nicht katholisch hielt, und stets darauf bedacht, die Erwartungen, die man klösterlicherseits in ihn setzte, zu erfüllen. Auf der anderen Seite er, der Einzelgänger: zurückgezogen das Leben eines Klausners führend, ohne wirklich einer zu sein. Jemand, der die Einsamkeit nicht um des Herrn und des allerheiligsten Glaubens, sondern ausschließlich um seiner selbst willen gewählt hatte. Weil ihm die damit verbundene Freiheit über alles ging. Ein Freigeist, der, was nur wenige wussten, sich ein hohes Maß an Bildung und umfangreiches Wissen erworben hatte, aber jede Art dogmatischer Gängelei verabscheute und deshalb im tiefsten Innern mit der allerheiligsten Kirche auf Kriegsfuß stand – was allerdings niemand wusste. Und so blieb Letzteres auch dem Prior verborgen, denn Wolf widerstand der Versuchung, sich mit Otto in Streitgesprächen messen zu wollen.
    Ganz anders geartet war dagegen seine freundschaftliche Beziehung zu Arnulf, dem Köhler. Rein äußerlich ein Hüne von Gestalt, war Arnulf seinem Wesen nach sanft und empfindsam. Ein einfacher, aber aufrechter Mann. Ein geradliniger Charakter, stets hilfsbereit und zu jedermann freundlich.
    Auch zu Arnulfs Familie hatte Wolf ein herzliches Verhältnis aufgebaut. Zu Agnes, der Ehefrau. Zu Tassilo, dem Bruder, und zu den Kindern Anna und Bertram. Letzterem galt seine besondere Zuneigung. Wolf mochte den aufgeweckten Knaben. Im Alter von sechs Jahren hatte er ihn das erste Mal auf einen seiner Streifzüge mitgenommen. Von da an war die Beziehung zwischen den beiden noch enger geworden; der Junge hielt sich mit Einwilligung des Vaters oft tagelang in Wolfs abgelegener Klause auf und begleitete ihn zeitweise auf Schritt und Tritt.
    So war im Verlauf der Jahre aus dem väterlichen Freund zunehmend auch ein Lehrer geworden. Schon früh hatte Wolf die besonders schnelle und klare Auffassungsgabe des Knaben erkannt und nach Kräften gefördert. Mit der Zeit brachte er ihm Lesen, Schreiben, Rechnen und sogar Latein bei. Er führte ihn ein in die Geheimnisse von Wald und Flur, zeigte ihm, wie man Spuren las und die Himmelsrichtung bestimmte, aber auch, wie man mit Bogen und Schwert umging und sich in halsbrecherischem Galopp erfolgreich auf einem ungesattelten Pferderücken hielt.
    Besonderes Vergnügen bereitete es Wolf jedoch, sich mit Bertram über „Gott und die Welt“, wie er es nannte, zu unterhalten.
    So wie an diesem Tag.
    Der, wie so viele andere Tage, unbeschwert begonnen hatte – aber in einen Abgrund des Entsetzens münden sollte.
    Wolf und Bertram spornten die Tiere zu einer schnelleren Gangart an. Rasch näherten sie sich ihrem Ziel; bald würden sie die Behausung des Köhlers erreicht haben.
    Aber diesmal würden sie nicht nur von Arnulf, Agnes, Anna und Tassilo begrüßt werden.
    Sondern auch von Paul.
    Schon seit einigen Tagen wohnte Paul bei der Köhlerfamilie. Der Junge war schon des Öfteren Gast in Arnulfs Hütte gewesen. Seine Mutter war schon vor Jahren gestorben, und so war Hademar, sein Vater, der als Taglöhner in einem der Hammerwerke bei Sankt Gallen arbeitete, froh darüber, dass Paul hin und wieder Familienanschluss im Heim des Köhlers genießen durfte.
    Diesmal allerdings hatte nackte Not den Sohn Hademars dazu gebracht, die Hütte Arnulfs aufzusuchen. Einige Tage bevor Bertram mit Wolf aufgebrochen war, war Paul schluchzend aufgetaucht und hatte Arnulf davon in Kenntnis gesetzt, dass sein Vater auf dem Weg von Sankt Gallen nach Hieflau tödlich verunglückt
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