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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler
Autoren: Peter Orontes
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war. Arnulf hatte daraufhin beschlossen, Paul, der keine Verwandten besaß, vorübergehend bei sich aufzunehmen. Wolf wiederum hatte Arnulf versprochen, sich im Kloster für Paul zu verwenden. Noch heute, gleich nachdem er Bertram zu Hause abgeliefert hätte, wollte er mit dem Prior darüber reden.
    Sie verließen den Hauptweg und gelangten an eine Wegkreuzung, die von drei dicht beieinanderstehenden Buchen markiert wurde. Dort bogen sie auf den Pfad, der in das Tal führte, in dem die Köhlerfamilie wohnte. Schon jetzt sahen sie hinter einigen hohen Bäumen Qualm aufsteigen – ein vertrauter Anblick; denn dort befanden sich auf einer gerodeten Fläche die Meiler: in die Erde getriebene Gruben, in denen Holz zu Kohle verschwelte und aus deren Öffnungen der im Innern entstehende Rauch entlassen wurde.
    Und doch war das Bild, das sich ihnen diesmal bot, ein anderes.
    Während des Sommers waren sie gewohnt, bei ihrer Heimkehr auch stets Rauch aus der neben der Hütte gelegenen Herdstelle aufsteigen zu sehen. Auf ihr bereitete Agnes gewöhnlich die täglichen Mahlzeiten zu.
    Aber dieses Mal vermissten sie den Rauch des Feuers. Die Herdstelle war kalt.
    Sie hielten kurz inne und sahen sich erstaunt an.
    Zögernd ritten sie weiter. Auf Rufweite bei der Hütte angekommen, stiegen sie ab und führten die Tiere am Halfter.
    Niemand war zu sehen; nichts war zu hören.
    Keine Antwort auf ihr Rufen.
    Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich Wolfs. Er hieß den Jungen in einiger Entfernung warten und übergab ihm die Zügel seines Rappen. Vorsichtig blickte er sich um und ging dann allein weiter. Bei der Hütte angekommen, stellte er fest, dass die Tür etwa eine Hand breit offen stand. Vorsichtig drückte er dagegen. Mit einem klagenden Knarzen bewegte sie sich in den hölzernen Angeln – glitt schwerfällig auf und gab zögernd den Blick in das dunkle Innere frei.
    Wolf duckte sich langsam durch die niedrige Öffnung hindurch und betrat den aus groben Lehm gestampften Boden.
    Hinter ihm fiel die Tür wieder in ihre ursprüngliche Position zurück; nur durch den handbreiten Spalt drang Licht herein.
    Das Erste, was er wahrnahm, war das plötzliche Summen einer Unmenge aufgescheuchter Schmeißfliegen, die unmittelbar vor ihm vom Boden aufstoben.
    Erschrocken richtete er den Blick nach unten, blieb stehen und versuchte Genaueres zu erkennen – doch noch legte sich das Dunkel wie eine schwarze Binde gnädig auf seine Augen.
    Dann hatte es mit der Gnade jedoch ein Ende.
    Er begann zu sehen – schemenhaft zunächst, doch allmählich immer deutlicher.
    Zuerst die seltsam dunklen Stellen auf dem Lehmboden zu seinen Füßen. Das durch den Türspalt und die Ritzen der Wände eindringende Licht, verlieh ihnen ein eigenartig stumpfes Aussehen.
    Er beugte sich nieder, berührte die Stellen mit dem Finger – und fing an zu begreifen.
    Blut! Lachen getrockneten Blutes!
    Das Blut – die Fliegen.
    Er richtete sich wieder auf, tappte zwei, drei Schritte vorwärts – und stieß plötzlich gegen einen weichen Gegenstand. Verstört blickte er abermals nach unten – und erstarrte.
    Jetzt erst erfasste sein Blick das gesamte Grauen und brannte es unauslöschlich in sein Gedächtnis.
    Unmittelbar vor ihm, auf dem Boden hingestreckt, direkt zu Füßen des Lagers, das er mit Agnes teilte, lag Arnulf, der Köhler. In-mitten einer riesigen geronnenen Blutlache und lediglich mit einer Bruche bekleidet. Ein mächtiger Hieb hatte ihm die rechte Schläfe zertrümmert. Trotz der mageren Lichtverhältnisse vermochte Wolf die halb geschlossenen Lider des Toten zu erkennen. Sie waren blutunterlaufen und verhüllten nur unzureichend den stumpfen Schleier des Todes, der sich auf das einst so kraftvoll blitzende Augenpaar gesenkt hatte.
    Neben Arnulf: Agnes, nackt, unter ihrem Haupt ebenfalls eine riesige Lache getrockneten Blutes, das eine geschwollene Lid halb geschlossen, mit dem anderen Auge blicklos ins Leere starrend.
    Achtlos und wie zufällig über die Füße der beiden gebreitet: das grobe wollene Nachthemd, das Agnes immer getragen hatte, wenn sie zur Ruhe ging. Es war schmutzig und zerrissen.
    Wolf stand wie vom Donner gerührt. Eine Welle eisigen Entsetzens breitete sich in ihm aus, die ihn zunächst völlig lähmte. Dann kam das Zittern. Heftig erfasste es seinen ganzen Körper, ohne dass er ihm Einhalt gebieten konnte. Noch weigerte sich sein Verstand zu glauben, was er sah, als auch schon eine Ahnung in ihm aufstieg, gepaart mit ohnmächtigem
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