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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Autoren: Karl May
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ein, und die sechs andern setzten sich auch von fern her in Bewegung. Alle Neugierigen, welche sich bisher in einer ehrerbietigen Entfernung gehalten hatten, drängten sich herbei. Schnell stieg ich auf meinen Mustang, ergriff den Rappen des Tetong beim Zügel und ritt auf die Halle zu. Ich war eher dort als die sechs Dragoner.
    »
Get you gone
– packt euch! Fort!« rief ich und drängte die Pferde zwischen die Menge hinein.
    Sobald ich die Thür erreichte, sprang ich ab, trat ein und zog auch die Tiere nach, die nun mit dem hintern Teile ihrer Leiber den Eingang so ausfüllten, daß kein Mensch passieren konnte. Ein Blick in das Innere der Halle zeigte mir den Stand der Angelegenheit. Der Pfiff hatte die vier Dragoner gerufen, um den Häuptling zu entwaffnen und gefangen zu nehmen; die sechs andern sollten nachkommen, konnten aber nun nicht eintreten.
    Der Tetong stand mit erhobenem Tomahawk in der Ecke, bereit, denjenigen zu töten, der die Hand an ihn legte, doch aller Augen waren jetzt auf mich gerichtet. Die Offiziere waren bewaffnet, die Dragoner ebenso, doch machte mir das nicht bange.
    »Was ist das! Was wollen Sie, Sir?« rief mir der Major entgegen.
    »Sie an Ihr Wort erinnern,« antwortete ich. »Sie versprachen mir freies Geleit für den Häuptling der Tetongs.«
    »Das hat er erhalten; er hat frei hereingedurft.«
    »Ah! Aber er darf nicht frei hinaus?«
    »Nein, denn so viel habe ich nicht versprochen.«
    »Gut, Sir!
Pokai-po, bite ta-ata
– tötendes Feuer, komme her zu mir!«
    Der Gerufene wollte sich in Bewegung setzen, da aber zog der Major den Revolver und richtete ihn auf mich.
    »Hinaus, sonst schieße ich!« gebot er.
    »
Pshaw!
« antwortete ich, indem ich nun direkt auf in zuschritt. »Tötendes Feuer, sage diesen Bleichgesichtern, wer ich bin!«
    »Old Shatterhand!« antwortete der Indianer.
    »Old Shatterhand!« wiederholten die Offiziere.
    Die verblüfften Mienen waren ein wahres Gaudium für mich. Der bloße Name thut oft mehr, als der Träger desselben jemals fertig bringen kann.
    »Ja, Old Shatterhand bin ich, Mesch’schurs,« sagte ich. »Wollen Sie es glauben, oder soll ich es Ihnen beweisen? Ich habe meinem roten Freunde freies Geleit versprochen, und ich werde es ihm geben. Vorher erlauben Sie mir, an ihrer Beratung mit teilzunehmen. Tötendes Feuer spricht nicht gut englisch, und sie verstehen die Dialekte der Sioux nicht genug; ein Dolmetscher ist notwendig. Beginnen wir also! Ob mit den Waffen oder mit der friedlichen Unterhandlung, das steht in Ihrem Belieben!«
    Mancher wird in meinem Verhalten ein großes Wagnis erblicken, aber es war keins. Ich kannte meine Leute. Ein deutscher Major oder Obristwachtmeister hätte mich ganz einfach
ad acta
heften lassen, die guten Yankees aber hatten vor meinem Trappernamen einen solchen Respekt, daß die Unterhandlung von neuem begonnen wurde, und dank der Mühe, welche ich mir gab, verzichtete der Häuptling auf die Sühne, welche er vor meiner Ankunft verlangt hatte; er hatte das Leben von achtzehn Weißen beansprucht, ein Weißer für jeden gefallenen Tetong; ich brachte es dahin, daß er achtzehn Karabiner verlangte, und sie wurden ihm – ganz gegen das Gesetz – bewilligt.
    Nun gab ich auch den Eingang wieder frei. Es hatte kein Mensch eintreten können, weil die beiden Pferde ihre Position mit den Hinterhufen verteidigten. Als wir die Halle verließen, ertönte aus der vordern Reihe der Neugierigen eine Stimme:
    »Warum schlägt man diese Rothaut nicht tot? Was will sie hier unter Gentlemen? Teert und federt sie!«
    Der Sprecher war kein andrer als der Fallensteller, welcher mich zum Schießen hatte zwingen wollen.
    »Ja, teeren, federn!« brüllten seine Gesellen.
    Handelten diese Leute in irgend einem Auftrage, oder wollten sie aus eigenem Antriebe einen Skandal anstiften, um dabei im Trüben fischen zu können, ich weiß es nicht, aber es streckten sich sofort zehn und zwanzig Arme nach dem Indianer aus. Wie auf Verabredung drängte sich ein breiter Keil von Menschen im Nu zwischen uns beide, so daß ich von ihm getrennt wurde. Ich sah sein Schlachtbeil blitzen ein vielstimmiger Schrei der Wut erscholl.
    »Major, ich mache Sie verantwortlich!« rief ich dem Offiziere zu, welcher erschrocken in meiner Nähe stand.
    Ich ließ den Rappen, den ich noch gefaßt hielt, los und sprang auf meinen Mustang. Es fielen bereits Revolverschüsse. Ich nahm das Pferd hoch und gab ihm beide Sporen; es schnellte mit einem weiten Satze mitten in
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