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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Zsuzsa Bánk
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die Plätze, die Gesichter, wann immer er wollte. Er schlief unter Bäumen, an Flüssen und auf Feldern, lief über Gleise und blieb, wo ihm das Blau des Himmels gefiel, das Grün der Felder, wo immer ihm etwas sagte: bleib.

    Erst nach Wochen schrieb er Anna, die vor dem Spiegel ihr Haar kämmte, weil ihr nichts Besseres einfiel, um die Zeit loszuwerden, und die jeden Abend betete, Kálmán möge zurückkommen. Er schickte eine Karte, die eine Kirche mit zwei gelben Türmen zeigte und auf der nichts weiter stand als, Ich lebe: Kálmán. Anna klemmte die Karte in den Türrahmen neben das Fliegengitter, um sie sehen zu können, jedesmal wenn sie nach draußen ging. Sie blieb eine Weile davor stehen, schaute auf die zwei gelben Türme, steckte die Karte in die Tasche ihrer Schürze, wenn sie im Hof arbeitete, und nahm sie abends mit ins Zimmer, um sie aufs Kissen neben ihren Kopf zu legen und ein letztes Mal zu sehen, bevor sie das Licht löschte, während Kálmán in Wäldern schlief, am Morgen wieder auf Züge sprang und über Feldwege lief, als müsse er jemandem entkommen.

    Isti und mir gefiel, wie Anna redete, mit dieser Stimme, die jetzt weder laut noch leise war, und was sie erzählte, von unserem Vater, der irgendwann, vor vielen Sommern, lange bevor es uns gab, durchs Land gezogen war, allein, über Felder, durch Dörfer, an Flüssen entlang, in die er hin und wieder sprang, um zu schwimmen, und wir glaubten, Anna erfand es für uns, jetzt, in diesem Augenblick, bevor sie es aussprach, weil Isti und mir noch nie etwas so gut gefallen hatte, das man uns erzählte. Anna sagte, wenige Wochen später habe Kálmán noch eine Karte geschickt, mit dem Tor eines Bahnhofs darauf und dem Namen des Städtchens über beiden Türen. Arbeit habe er gefunden, schrieb er, beim Entladen der Züge, aber als Anna las, Ich werde hier bleiben: Kálmán, wußte sie, daß es weder dieser Ort noch der Bahnhof noch die Arbeit war - sondern ein Mädchen.

    Kálmán war unserer Mutter an den Gleisen begegnet, wenn man es begegnen nennen will, sagte Anna. Sie war aus dem Zug gestiegen, an ihm vorbeigelaufen, ohne ihn zu bemerken, obwohl ihn jedes Mädchen sofort bemerkte, auch wenn er mit anderen zusammenstand, auch da fiel er auf, gerade dann, vielleicht bloß, weil er schwieg, während die anderen redeten, und weil die anderen nichts sagten, während er sprach. Kálmán hatte es gestört, ihr nachzuschauen, ohne gesehen zu werden, an jedem Tag, an dem sie aus ihrem Zug stieg und auf den Bahnsteig sprang, immer zur gleichen Zeit, mit derselben Bewegung, mit einer kleinen Tasche unter dem Arm, ihm den Rücken zuwendete, den Bahnsteig hinablief und die Türen zur Halle öffnete, wenn es kein anderer für sie tat, um dann hinter dem Glas zu verschwinden.

    Nach Mittag hatte Kálmán immer wieder auf die Uhr über den Bänken geschaut, auf ihre schwarzen Zeiger, deren Bewegung er hören konnte, um zu prüfen, ob es Zeit war, ob ihr Zug bald einfahren würde, und es verwirrte ihn, diese Dinge zu tun, die er noch nie getan hatte, es wunderte ihn, daß er, ausgerechnet er, Velencei Kálmán, gegen Mittag unter einer Uhr stand, bloß um auf ihre schwarzen Zeiger zu schauen, um zu sehen, ob sie sich auch wirklich bewegten. Er fand Ausreden, um seine Arbeit liegenzulassen, zum Gleis zu gehen und dort zu warten, bis sich ihr Zug zeigte, und als wieder Tage vergingen, ohne daß sie ihn wahrnahm, wußte er nicht, war es seine Wut, war es sein Stolz, aber er stellte sich hinter die Glastür, damit sie ihn sehen würde, wenn sie vom Bahnsteig kam und die Türen öffnete, als könne er so ihren Blick einfordern. Selbst da lief sie an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen, aber jetzt schien es Kálmán, als sehe sie nicht bloß ihn nicht, sondern als sehe sie nichts, was sie umgab, weil sie lief, als sei sie eingehüllt in etwas, das sie an den anderen vorbei und dann hinaustrug.

    Kálmán wartete. Er wartete vor dem Zug, vor der Tür, aus der sie stieg, dieselbe Tür an jedem Tag, und manchmal ging er ihr nach, bis zum Portal, das auf Annas Postkarte zu sehen war, bis hinters Portal sogar, bis dorthin, wo die Busse abfuhren und sich verteilten, auf die wenigen Straßen zu den nächsten Dörfern. Er folgte ihr, weil er etwas an ihr entdeckt hatte, das er nicht vergaß und das man sehen konnte, wenn sie mit jemandem sprach, wenn sie glaubte, etwas fallen gelassen zu haben, und deshalb stehenblieb, ihren Kopf senkte und zu Boden schaute, und weil er es mochte,
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