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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix
Autoren: Tom Becker
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ab, ob ihn jemand beobachtete. An jeder Ecke tummelten sich verdächtige Gestalten, aber niemand schien Notiz von ihm zu nehmen.
    Er stopfte die Nachricht wieder in seine Tasche und lief vorsichtig die Hauptstraße entlang. Sein Verstand war umnebelt. Edwin hatte diesen Zettel mit Sicherheit nicht geschrieben, und er konnte sich nicht erinnern, ihn je zuvor gesehen zu haben. Irgendjemand musste ihn im »Mitternacht« in seine Tasche gesteckt haben. Aber warum sollte jemand so etwas tun? Es sei denn …
    Sein Verstand bot ihm eine besonders unerfreuliche Erklärung an. Edwin beschleunigte seinen Gang und lief mit schnellen, schlurfenden Schritten. Wie zur Untermalung der herannahenden Gefahr kam ein scharfer, kalter Wind auf und die Sonne verzog sich hinter ein paar graue Wolken.
    Plötzlich rief jemand hinter Edwin etwas. Er wirbelte herum und erkannte, dass es nur ein Zeitungsjunge war, der versuchte, ihm eine Ausgabe des »Darkside-Kurier« anzudrehen.
    »Ähm, wollen Sie eine, Sir? Is’ meine letzte.«
    »Nein!«, schrie Edwin mit wildem Blick. »Lass mich in Ruhe!«
    Der Junge zuckte mit den Schultern.
    »Ganz wie Sie wollen. Spinner«, fügte er flüsternd hinzu.
    Edwin fühlte sich schutzlos, verließ die Hauptstraße und betrat eine schmale Nebenstraße, die den Namen Gammelgasse trug. Er war diesen Weg schon dutzende Male gelaufen, er kannte jeden losen Pflasterstein und jede Scharte in den Mauern, und er wusste, dass dies der schnellste Weg nach Hause war. Selbst nach einer Woche im »Mitternacht« konnte er den Weg ohne einen einzigen Fehltritt finden. Sollte jemand versuchen, ihm zu folgen, würde er ihn im Gewirr der engen Gassen abschütteln. Trotz dieser beruhigenden Gewissheit fühlte Edwin sich unbehaglich. Ein Ruf von der anderen Straßenseite ließ ihn hektisch in einen Durchgang zwischen zwei Häuserzeilen stürzen, von wo aus er torkelnd weiterrannte. Seine schäbigen Schuhe stapften durch dreckige Pfützen und seine Fingerknöchel schrammten an den Mauern entlang. Sollte er verfolgt werden, so bewegten sich seine Jäger nahezu lautlos, denn das Einzige, was Edwin hörte, war sein eigener keuchender Atem. Für einen Moment dachte er daran, über die Schulter nach hinten zu blicken, um sich Gewissheit zu verschaffen, aber dazu war er zu sehr in Panik.
    Edwin stolperte weiter, wich Wäscheleinen und Hunden aus und begab sich immer tiefer in das labyrinthartigeHerz von Darkside. Die Gassen wurden schmaler und schmaler, bis die Häuser schließlich so nahe beieinander standen, dass sie auch noch das letzte spärliche Sonnenlicht verdeckten. Seine Lungen brannten und ein stechender Schmerz breitete sich in seinem Magen aus. Seine Kräfte ließen nach. Selbst als junger Mann war Edwin nie sonderlich sportlich gewesen und zurzeit befand er sich in einem erbärmlichen Zustand. Nur das Adrenalin, das durch seinen Körper strömte, hielt ihn auf den Beinen.
    Trotzdem hatte er es fast geschafft, wie er erleichtert feststellte. Sein Haus war nur noch ein paar Straßen weit entfernt. Dort würde er in Sicherheit sein. Edwin riskierte einen Blick zurück und entdeckte nichts außer einer Hintertür, die im Wind auf und zu klappte. Außerstande weiterzulaufen, blieb er stehen und wäre vor Erschöpfung beinahe umgefallen. Er beugte sich vor und versuchte, zu Atem zu kommen. Nachdem er ein paar Minuten vor sich hin gekeucht hatte, richtete Edwin sich auf und setzte seinen Weg fort. Er befand sich in der vermutlich armseligsten Gasse in Darkside. Die Häuser schienen alle unbewohnt zu sein. Die Fenster waren zerbrochen und die Türen hingen schief in ihren Angeln. Die Mauern waren blutverschmiert und die Luft roch nach verfaultem Fleisch. Wahrscheinlich ein toter Hund oder eine Ratte, dachte Edwin mürrisch. Er hatte entsetzliche Schmerzen.
    In diesem Moment tauchte eine Silhouette aus einem der verfallenen Häuser auf und stellte sich ihm inden Weg. Im Halbdunkel war es schwer festzustellen, um wen es sich handelte. Dann begann die Gestalt zu sprechen und schlagartig wurde es erschreckend einfach.
    »Bruder Furchtlos?«
    Edwin keuchte.
    »Bruder Flink! Es, es ist … so lange her, mein Freund.«
    »Mein lieber Bruder Furchtlos«, fuhr die Stimme spöttisch fort. »Immer noch so schwächlich. Immer noch so berechenbar. Hast du nicht einmal daran gedacht, einen anderen Weg nach Hause einzuschlagen?«
    »Es ist der schnellste Weg … Ich bin sehr erschöpft …«
    »Selbstverständlich ist er das. Mach dir keine
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