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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal
Autoren: Jan Fleischhauer
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Anti-Atom-Bewegung in Deutschland lassen: Ihre Reaktionszeit ist bemerkenswert kurz. Die Meldungen über einen Reaktorunfall im japanischen Fukushima waren kaum über die Agenturen gegangen, da meldeten sich schon die ersten Politiker zu Wort, die eine Abschaltung der deutschen Kraftwerke forderten. Andernorts in Europa waren die Bürger noch damit beschäftigt, sich einen Überblick zu verschaffen, was genau in dem Unglückswerk eigentlich vorgefallen war; dem deutschen Atom-Gegner reicht die Nachricht von einem brennenden Meiler, und er weiß, dass es Zeit für Mahnwachen ist.
    Fast musste man den Eindruck gewinnen, mitten in Deutschland habe sich ein Atomkraftwerk in einer Kettenreaktion verabschiedet und nicht 10000 Kilometer entfernt an der japanischen Küste, aber so ist das in der Stimmungspolitik. Wenn es um die Angst geht, die noch immer am zuverlässigsten die Massen bewegt, ist sich jeder selbst der Nächste. Das ist menschlich, hat allerdings mit verantwortlicher Politik nicht viel zu tun, die auch in der Krise die Argumente wägen muss – und schon gar nicht mit der «Betroffenheit», die in solchen Fällen regelmäßig beschworen wird.
    Viel war vom Mitgefühl mit den Menschen die Rede, die in Japan aus Sorge vor einer Kernschmelze aus ihren Wohnorten evakuiert werden mussten. Wer an diesem Mitgefühl Zweifel hegte, setzte sich heftigen Verwünschungen aus. «Inhuman, widerlich und zynisch» nannte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck einen Twitter-Eintrag, in dem der Autor dieser Kolumne den Verdacht äußerte, dass der Kernkraftgegner im tiefsten Inneren seines Herzens immer den Unfall herbeisehnt, weil dieser auf drastische Art seine Befürchtungen bestätigt. Vorausgesetzt natürlich, er ereignet sich nicht vor der eigenen Haustür.
    Der Apokalyptiker, der stets mit dem Schlimmsten rechnet, braucht hin und wieder den Beweis, dass er mit seiner Weltsicht richtigliegt, sonst ergeht es ihm am Ende wie den Zeugen Jehovas, die den Tag des Jüngsten Gerichts schon dreimal verschieben mussten, weil er sich bislang einfach nicht einstellen wollte. Volker Beck handelte selbstverständlich aus reinster Menschenliebe, als er kein Mikrofon ausließ, um endlich dem Ausstieg aus der Kernenergie zum Durchbruch zu verhelfen – und so, ganz nebenbei, die Chancen seiner Partei bei den nächsten Landtagswahlen zu verbessern.
    Die Forderung der Stunde lautete «Atomkraft abschalten sofort». Und, natürlich: «Mappus muss weg.» Inwieweit die Abwahl des baden-württembergischen Ministerpräsidenten den Menschen in den Krisengebieten helfen sollte, deren Schicksal nun angeblich alle so bewegte, war zwar nicht ganz klar, aber wahrscheinlich war die Losung als Geste gelebter Solidarität zu verstehen. Der Atomtod macht bekanntlich jeden zum Opfer, wo immer er auch lebt, selbst wenn er anschließend nur auf japanische Shiitake-Pilze verzichten muss.
    Leben bedeutet, sich Risiken auszusetzen. Welche als tragbar gelten und welche eben nicht mehr, wird in demokratischen Gesellschaften ständig neu verhandelt, das gehört zum Wesen unseres Gemeinwesens. Atomkraft ist eine gefährliche Technik, und es wäre zweifellos wünschenswert, wir kämen ohne sie aus, aber genau daran bestehen Zweifel, jedenfalls wenn wir auf nahe Zukunft unseren Wohlstand nicht gefährden wollen. Manchmal ist sie sogar erschreckend zerstörerisch und lebensbedrohend, wie man immer wieder sehen kann. Aber das ist die Quecksilberproduktion auch, die in China in Gang gesetzt wurde, um unsere Energiesparlampen zu produzieren, die nun die Glühbirne ersetzen sollen. Dafür können sich die chinesischen Minenarbeiter mit dem Gedanken trösten, für einen guten Zweck, nämlich die Verbesserung des Weltklimas, an ihren Vergiftungen zu sterben. Vom Autoverkehr wollen wir gar nicht erst reden. Über 3000 Menschen fallen allein in Deutschland jedes Jahr dem motorisierten Bewegungsdrang zum Opfer, aber das hat (außer dem bewundernswert konsequenten Hans-Christian Ströbele) kaum einen ökologisch gesinnten Mandatsträger davon abgehalten, seinen Dienstwagen zu benutzen.
    Es kommt eben offenbar darauf an, woran man stirbt, um das Mitgefühl der politisch schnell erregbaren Kreise zu wecken. Über die Toten, die vor der Küste von Sendai trieben, verlor bei den Atomkraftgegnern kaum jemand ein Wort, vielleicht weil man Stefan Mappus dafür nicht wirklich verantwortlich machen konnte. Offenbar taugt nur der Strahlentod, um in der Opferhierarchie ganz nach
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