Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
mit Leder überzogen. Der Kofferraum war leer - wo ist der Verstärker? Auf dem Fußboden vor dem Beifahrersitz, bedeckt mit dem Umschlag eines Magazins, von dem mich eine nackte Blondine mit herausgestreckter, speichelglänzender Zunge kalt anblickte. Eigentlich gab ich keinen Ton von mir, aber irgend etwas seufzte leise in mir, als ich mich in den laufenden Verkehr einfädelte. Eine einzige Kolonne von Verkehrsampel zu Verkehrsampel. Ich war zwar ausgeruht und locker, aber auch ein bißchen verdrossen, ein bißchen albern lachlustig, vielleicht weil ich einen großen Teller Makkaroni gegessen hatte, die ich nicht mag.
    Bis jetzt hatte die bedrohliche Lage nur dazu geführt, daß ich zunahm. Hinter der nächsten Kreuzung schaltete ich das Gebläse an. Kochende Abgase wehten herein. Ich schaltete das Gebläse wieder aus. Die Autos drängten sich auf italienische Weise. Umleitung. In den Spiegeln nur Kühler und Dächer. La potente benzina italiana roch nach Kohlenoxyd. Ich hielt hinter einem Autobus, in seinem stinkenden Auspuff. Kinder in gleichartigen grünen Mützen starrten mich durch die Rückscheibe an. Im Magen spürte ich einen Kloß, im Kopf Glut, am Herzen die Elektrode, die durch das Hemd hindurch bei jeder Lenkraddrehung hinter den Hosenträger hakte. Ich riß ein Päckchen Kleenex auf und legte die Taschentücher auf den Mitteltunnel, denn es kribbelte mir in der Nase wie vor einem Gewitter.
    Ich nieste einmal und noch einmal und war so mit Niesen beschäftigt, daß ich gar nicht merkte, wie Neapel zurückblieb und im Küstenblau verschwand. Ich rollte bereits über die Strada del Sol. Für die Hauptverkehrszeit war sie relativ frei. Merkwürdig, als hätte ich überhaupt kein Plimasin eingenommen. Es kitzelte in den Augen, die Nase lief, dafür war der Mund trocken. Ein Kaffee täte gut, obwohl ich im Hotel zwei Cappuccini getrunken hatte, aber Kaffeezeit ist erst bei Maddalena. Wegen irgendeines Streiks hatte es am Kiosk wieder keinen >Herald< gegeben. Zwischen dampfenden kleinen Fiats und einem Mercedes schaltete ich das Radio ein. Nachrichten. Ich verstand sie nur ungenau. Demonstranten hatten etwas angezündet.
    Der Sprecher einer Privatpolizei hatte eine Erklärung abgegeben. Die feministische Untergrundbewegung kündigte eine neue Aktion an. Mit tiefem Alt las die Sprecherin die Deklaration der Terroristinnen, die Verdammung des Papstes, eins nach dem anderen, dann Pressestimmen. Weiblicher Untergrund. Man wundert sich über gar nichts mehr. Man hat uns die Fähigkeit genommen, uns zu wundem. Wogegen kämpfen sie eigentlich, gegen die Tyrannei der Männer? Ich fühlte mich nicht als Tyrann. Niemand fühlt sich so. Wehe den Playboys! Was werden sie mit ihnen tun? Werden sie auch Kleriker entführen? Ich schaltete das Radio aus, wie man einen Müllschlucker zuklappt.
    In Neapel sein und den Vesuv nicht sehen - ich habe ihn nicht gesehen. Mein Verhältnis zu Vulkanen ist voller Freundlichkeit. Mein Vater hat mir von ihnen vor dem EinSchlafen erzählt, das ist fast ein halbes Jahrhundert her. Bald werde ich ein alter Mann sein, dachte ich, und das überraschte mich, als hätte ich gesagt, ich würde in Kürze eine Kuh sein. Vulkane, das war etwas Solides, Vertrauenerweckendes. Die Erde platzt, die Lava fließt, die Häuser stürzen ein. Alles ist klar und wundervoll, wenn
    man fünf Jahre alt ist. Ich hatte erwartet, durch den Krater könne man in die Mitte der Erde hinuntersteigen. Mein Vater bestritt das. Schade, daß er nicht länger gelebt hat, er hätte sich über mich gefreut. Man denkt nicht an die entsetzliche Stille dieser unendlichen Räume, wenn man den herrlichen Laut beim Einrasten der Kupplung hört, die den Träger an der Raumstation festmacht. Allerdings, meine Karriere dauerte nicht lange. Ich habe mich des Mars nicht würdig erwiesen. Für meinen Vater wäre das wohl schlimmer gewesen, als es für mich war. Nun ja, hätte er nach meinem ersten Flug sterben sollen? Zu wünschen, daß er die Augen schließt, während er an mich glaubt, ist das zynisch oder nur dumm? Übrigens, würden Sie so freundlich sein, ein wenig auf den Verkehr zu achten? Beim Einscheren in die Lücke hinter einem psychedelischen Lancia blickte ich in den Rückspiegel. Von einem Hertzschen Chrysler keine Spur. Weit hinten bei Marianel-li blitzte kurz etwas auf, aber ich war nicht sicher, ob sie das waren, der Wagen verschwand sofort wieder. Die banale, gar nicht lange Strecke, voll von einer geschäftigen Menge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher