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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger
Autoren: Monika Feth
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Angst, die sie um mich hatte.
    Und ihren Stolz.
    Manuel würde ihn nicht brechen können. Niemals. Und  wenn meine Mutter seinen Namen stundenlang übers Wasser riefe - es bedeutete nichts. Nichts als einen kleinen, kostbaren Aufschub, in dem wir Kraft sammeln konnten.
     
    Wie teuer ihr dieses jämmerliche, schwitzende Mädchen war. Manuel konnte es nicht begreifen. Fast hatte er Lust, diese Mutterliebe auszuradieren. Es wäre so einfach. Er müsste Imke nur die Tochter nehmen.
    Aber allmählich erfasste ihn die Ungeduld.
    »Imke«, sagte er.
    Sie hatten jeder den Namen des andern ausgesprochen und waren jetzt eins.
    Er zog das Messer aus der Tasche und beugte sich vor, um die Fesseln des Mädchens durchzuschneiden.
     
    Imke sah das Messer.
    Sie sah, wie Jette den Kopf hob.
    Und dann sah sie, wie Jette Luft holte.
     
    Ich hatte mir so viele Gedanken gemacht. Dabei war alles so einfach. Es war noch genug Energie in mir, um mich zu wehren.
    Er löste mir die Fesseln und ich nutzte die Chance.
    Ich wirbelte herum und rammte ihm meinen rechten Ellbogen unter das Kinn. Manuel verlor das Gleichgewicht und ruderte mit den Armen. Das Messer fiel ihm aus der Hand und landete mit einem hellen Klang außerhalb seiner Reichweite.
    Bevor es Manuel gelang, sich wieder aufzurichten, warf ich mich gegen ihn. Wir gingen beide zu Boden, doch ich hatte mehr Glück als er, weil ich weich auf ihm landete, während  er mit dem Kopf aufschlug. Ich hörte, wie seine Zähne klapperten. Er stöhnte.
    Im nächsten Moment war ich wieder auf den Füßen und sprang von Bord.
    Ich versank im Wasser. Es war grottenkalt. Ich schnappte nach Luft, streifte die Schuhe ab und fing an zu schwimmen, so gut das im Schilf möglich war.
     
    »Lauf, Mama!«
    Imke hörte die Stimme ihrer Tochter und folgte ihr blindlings. Ihre Schritte ließen die Holzplanken des Stegs bedenklich vibrieren. Aus den Augenwinkeln nahm sie Manuel wahr, der auf dem Boot schwankend das Gleichgewicht zu halten versuchte.
    »Verdammtes Miststück!«, schrie er. »Ich hab dir vertraut!«
    Imke sprang vom Steg, mitten in das raschelnde Grün der Uferpflanzen, und duckte sich. Und dann hörte sie den Schuss.
    Sie hatte so oft darüber geschrieben, ohne je einen wirklichen Schuss gehört zu haben. Für einen Moment kam alles zum Stillstand. Auch sie. Auf Zehenspitzen stand sie da und horchte in die unnatürliche Stille.
    »Komm zurück!«
    Vorsichtig schlich Imke auf die Stelle zu, an der sie Jettes Stimme gehört hatte.
    »Zwing mich nicht, dich mit Gewalt zu holen!«
    Imke glitt die Böschung hinunter, in das eiskalte Wasser hinein, und suchte Deckung unter dem Steg. Ein zweiter Schuss krachte über sie hinweg, ein dritter, ein vierter. Dann hörte Imke die schweren Schritte über ihrem Kopf.
     
    Noch nie war er so wütend gewesen.
    Sie konnten beide nicht weit sein.
    Doch das Mädchen interessierte ihn nicht. Sollte sie doch laufen und ihr erbärmliches kleines Leben in Sicherheit bringen.
    Ihn interessierte nur Imke.
    Sie würde jetzt lernen, ihm zu gehorchen.
     
    Das brackige Wasser brannte mir in den Augen. Meine Kleider hatten sich vollgesogen und hingen an mir wie Gewichte aus Blei. Es war stockdunkel hier unter dem Steg. Hoch und stark wie ein Wald, ließ das Schilf nicht mal einen Schimmer von Licht herein.
    Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Manuel eine Pistole besaß. Jeder einzelne Schuss hatte sich mir wie ein Schmerz auf die Haut gelegt. Panik hatte mich erfasst und mich unter Wasser gedrückt. Halb erstickt war ich wieder hochgekommen.
    Vorsichtig mit den Armen paddelnd, hielt ich mich über Wasser, ängstlich bemüht, keine Geräusche zu machen. Ich konnte das nicht lange durchhalten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich untergehen oder Manuel mich finden würde.
     
    Seine Wut hatte einer kalten Entschlossenheit Platz gemacht. Auf leisen Sohlen ging Manuel auf dem Steg auf und ab. Es war dämmrig geworden. Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass sich eine dunkle Wolkendecke herangeschoben hatte. Leichter Regen fiel. Doch das war ihm egal.
    Alles war ihm egal.
    Nur eines nicht - Imke durfte ihm nicht entkommen.
    Er hätte sich ohrfeigen mögen. Wie hatte ihm das passieren können? Das Mädchen so zu unterschätzen. In seinem Mund war der metallische Geschmack von Blut. Seine Zunge hatte die scharf gezackten Überreste eines abgebrochenen Zahns ertastet. Er konnte von Glück sagen, dass ihm nichts Schlimmeres widerfahren war.
    Mit konzentriertem Blick suchte er
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