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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Autoren: Maggie Furey
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tiefes, beunruhigendes Grollen antwortete ihm, das unmittelbar von den Felsen ringsum zu kommen schien.
    Zeit, sich umzublicken erhielt sie nicht mehr. Aus den Augenwinkeln sah Veldan das Erdreich des Berghangs in einer rollenden Woge auf sich zukommen. Mit aller Kraft klammerte sie sich an Kaz’ Nacken, während der Feuerdrache mit einem Sprung der Gefahr zu entkommen suchte. Doch schon im nächsten Moment wälzte sich die Wand aus Schlamm, Wasser und Bäumen über sie hinweg, und ein mächtiger Stoß raubte Veldan den Atem. Sie wurde von ihrem Partner fortgerissen und rang verzweifelt nach Luft, doch nur Schlamm drang ihr in Mund und Nase. Unter gewaltigem Donnern hüllte sie die Dunkelheit ein. Sie wurde umhergeschleudert, als wäre sie nur eine Stoffpuppe. Instinktiv rollte Veldan sich eng zusammen und versuchte mit den Armen ihren Kopf zu schützen. Mehr konnte sie nicht tun – nur noch eins:
    Mit letzter Hoffnung sandte Veldan einen gebündelten Gedankenstrahl nach Hause, nach Gendival, dem Tal der zwei Seen, Herz des Schattenbundes. Ein einziger verzweifelter Hilferuf war alles, was sie auf diese enorme Entfernung übermitteln konnte. Die Bewusstlosigkeit, die sie unmittelbar nach diesem letzten Gedankenschrei überkam, war fast willkommen.
     
    In Tiarond, etwa zwei Wegstunden vom Schlangenpass entfernt, verebbten die Ausläufer der Erschütterung durch den Erdrutsch unbeachtet. Die Menschen dort hatten ihrerseits zu viele Probleme, um sich über die Launen der Natur außerhalb ihrer Stadt Gedanken zu machen.
    Tiarond lag in der Schleife eines Flusses zwischen zwei schützenden Ausläufern des Berges Chaikar, den man hier den Thron nannte. Die Stadt war an den Berg gebaut und bildete, seiner natürlichen Form folgend, ein Dreieck. Hoch oben in der Spitze, wo die Ausläufer des Berges auseinanderzustreben begannen, befand sich eine Felsspalte, kaum breiter als achtzehn Fuß, die den Zugang in eine verborgene, von der Welt abgeschiedene herzförmige Schlucht erlaubte. Hier fand sich der Nabel Tiaronds, denn die Kluft barg den Tempel und die Heilige Stadt des Gottes Myrial.
    Im Tempel Myrials griffen die Schatten um sich, nahmen das hohe Gewölbe ein und verdichteten sich zwischen den trüben Lichtlachen der Lampen. Nur auf dem Gold und den Edelsteinen, die man den Bergen entrissen hatte, fing sich das Licht und schimmerte ein wenig. Zavahl schlich den langen Säulengang hinunter und fühlte sich klein, zum ersten Mal in seinem Leben klein unter der Größe und Pracht des Gotteshauses, das rechtmäßig seine Heimstatt war. Er verachtete sich für seine Schwäche. Zu keiner Zeit hatte er sich vor seinem Gott gefürchtet. Was hätte er auch befürchten müssen? Er war in die Rolle des Hierarchen, des Priesterkönigs von Callisiora, hineingeboren, und die Macht und Verantwortung wurden ihm mit den Windeln angelegt. Er war Stellvertreter Myrials auf Erden, der mächtigste Mann im Reich. Heute indessen näherte er sich dem Allerheiligsten zitternd und mit weichen Knien, als wäre er ein einfältiger, abergläubischer Bauer. Vor dem hohen silbernen Gitter hielt er einen Augenblick an.
    Zavahl starrte durch das filigrane Schmiedewerk auf den dunklen Eingang zum Allerheiligsten, wo dem Hierarchen vom Großen Auge die Göttlichen Wünsche überbracht wurden. Früher konnte der Priesterkönig alles beobachten, was in seinem Land geschah, indem er in das Auge schaute. Jetzt aber blieb das Auge für ihn dunkel und leblos, was ein weiteres schuldhaftes Geheimnis seines Herzens war: Weil es nur dem Hierarchen selbst gestattet war, sich in die mystische Gegenwart des Auges zu begeben, wusste niemand außer ihm, dass es unter seiner Berührung nicht mehr zum Leben erwachte. Aber wie lange würde er sein Versagen noch verhehlen können?
    Zavahl wusste sich keinen Rat mehr, und seine Angst wuchs. Seit mehr als einem halben Jahr hatte die Sonne nicht mehr die schwere Wolkendecke durchdrungen, die über dem siechenden Land hing; seit Monaten regnete es ohne Unterlass. Die Flüsse waren über die Ufer getreten, und viele tiefliegenden Gefilde von Callisiora waren unter den Fluten versunken, die Ernten, Höfe und Menschen gleichermaßen mit sich fortrissen.
    In Tiarond verrottete die Kleidung, verfaulten die Nahrungsmittel, wucherte auf den Hauswänden der Schimmel. Die Felder waren nicht abgeerntet oder lagen unbestellt in dem Morast, der einst schönes, fruchtbares Land gewesen war. Immer mehr Vieh verendete, und die Menschen
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