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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman
Autoren: Elizabeth Haran
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verblüffte Kelvin.
    »Dann auf Wiedersehen, Mr. Kendrick«, sagte Lady Bowers, als die Zigeunerfamilie vorüber war. »Es ist mir ein Vergnügen gewesen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.« Diese Bemerkung war eine glatte Lüge. Ihre Dankbarkeit hatte nichts mit dem unfreundlichen Geschäftsführer zu tun, sondern entsprang einzig ihrer Zufriedenheit über das erfolgreiche Täuschungsmanöver.
    Dass Kelvin Kendrick bereit gewesen war, so viel Geld für ein Bild zu bezahlen, dass ihm nicht gefiel und dem er jeden technischen Vorzug absprach, verwirrte sie, doch sie beschloss, nicht länger über den Grund für sein Handeln – oder ihr Glück – nachzugrübeln. Sie würde es eben einfach als lange überfällige Wiedergutmachung des Schicksals sehen!
    Nachdem sie die Galerie verlassen hatte, wandte sich Lady Bowers ab und eilte die Straße hinunter. »Engstirniger kleiner Mann«, murmelte sie ärgerlich.
    »So unzufrieden, Lady Bowers?«
    Morna fuhr herum, überrascht, Riordan Magee hinter sich zu sehen.
    »Konnten Sie Ihr Geschäft nicht zu Ihrer Zufriedenheit beenden?«, fragte er scheinheilig.
    »Im Gegenteil – es ist sehr gut verlaufen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ...!« Sie wandte sich zum Gehen.
    Es gab eine ganze Menge Dinge, die Riordan an dieser Lady Bowers faszinierten, doch im Augenblick interessierte ihn vor allem das Bild, das sie in der Galerie verkauft hatte. »Das freut mich für Sie«, fuhr er beharrlich fort »aber dafür, dass Sie so viel Glück hatten, wirken Sie reichlich verärgert. Stimmt irgendetwas nicht?«
    Morna blieb stehen, wandte sich um und sah ihm gerade in die Augen. »Ich hasse jede Form von Engstirnigkeit«, stieß sie wütend hervor, um dann hastig zu verstummen. Was tat sie eigentlich? Wollte sie unbedingt seinen Verdacht erregen?
    Riordan hatte den Eingang der Galerie beobachtet, als die Zigeuner daran vorbeigelaufen waren, und den Ausdruck der Verachtung auf Kelvins Gesicht gesehen, als dieser Morna zurückhielt.
    »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen ...« Wieder wandte sie sich ab, doch sie spürte den Druck seiner Hand auf ihrem Arm.
    »Darf ich Sie mitnehmen, Lady Bowers? Ihre Kutsche scheint Sie im Stich gelassen zu haben, und um diese Zeit weiß man nie, wer sich auf den Straßen herumtreibt!«
    Lady Bowers’ Ungeduld wuchs, doch plötzlich sah sie einen Constable, der auf sie zukam. Ihre Augen weiteten sich vor Schrecken, als sie gleich hinter dem Polizisten Jake entdeckte. Er war der Anführer der Zigeunergruppe, die am Ufer des Liffey lagerte. Ihr waren Gerüchte zu Ohren gekommen, ihr Ehemann schulde Jake Geld, und ihr war klar, dass er nicht ruhen würde, bis er alles bekommen hatte, was sie besaß. Wenn er sie nun mit einem wohlhabenden Gentleman sprechen sah – oder Wind vom Verkauf des Bildes bekam!
    »Vielleicht haben Sie Recht«, sagte sie deshalb. »Wo ist Ihre Kutsche?«
    Riordan Magee deutete auf einen Ford Modell T, der ein paar Schritte vor ihnen am Straßenrand stand. Morna bekam großeAugen. Sie hatte noch niemals in irgendeinem Fahrzeug gesessen, das mit diesem luxuriösen Wagen vergleichbar gewesen wäre. Trotz ihrer Ungeduld fühlte sie sich plötzlich von fast kindlicher Vorfreude erfüllt. Eilig lief sie zur Wagentür und rief dem Fahrer bereits durch das offene Fenster hindurch zu: »Zum Merrion Square, bitte!«
    Während Riordan ihr folgte, bemerkte er den Constable und lächelte in sich hinein. Diese Lady Bowers war wirklich eine ungewöhnlich interessante Frau! Plötzlich wurde ihm bewusst, dass es viele Jahre her sein musste, seit er von einem weiblichen Wesen so angetan gewesen war.
    Als der Wagen sich in den Verkehr einreihte, bat Riordan: »Würden Sie mir jetzt, wo wir unter uns sind, Ihren richtigen Namen verraten?«
    Sie hatte nicht erwartet, dass er sie so unverblümt darauf ansprechen würde. »Ich verstehe nicht ganz«, erwiderte sie in der Hoffnung, Zeit zu gewinnen. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, und außerdem sind wir nicht ganz allein!« Sie warf einen viel sagenden Blick auf seinen Fahrer.
    »Sykes ist überaus diskret. Ich versichere Ihnen, Sie können offen sprechen.« Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Sie können Ihre Verkleidung fallen lassen, denn wie auch immer Ihr Name lautet, Morna Bowers ist es auf keinen Fall. Ich kenne zufällig die echte Lady Bowers, und wenn sie auch ein sehr liebenswerter Mensch ist, so lässt sich ihre Größe allenfalls mit dem Attribut ›winzig‹ beschreiben,
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