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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura
Autoren: Anne Laureen
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sich vor den Schafläusen vor, auf dem Schiff habe ich wüste Geschichten darüber gehört, dass konkurrierende Schafbarone versuchen, einander die Wollproduktion zu verderben.« Kaum hatte sie sie ausgesprochen, war Lillian diese Bemerkung auch schon peinlich. Der Mann würde das alles sicher wissen, er hatte doch von der Schafzucht mehr Ahnung als sie!
    In den Augenwinkeln des Mannes zeigten sich amüsierte Fältchen. »Keine Sorge, meine Herden sind gut bewacht. Ich habe nicht nur Hütehunde, sondern auch eine sehr gute Mannschaft. Wenn die Schafläuse über meine Tiere herfallen, ist es Gottes Wille und sicher nicht dem Zutun Dritter zu verdanken.« Der Mann betrachtete sie erneut eindringlich, während sich Lillian fragte, ob er wohl verheiratet war. Einen Ring hatte sie jedenfalls nicht an seinem Finger gesehen. Doch warum machte sie sich darüber Gedanken? Soeben hatte sie ihm gegenüber noch von einem Begleiter gesprochen.
    »Hören Sie, wenn Sie und Ihr Begleiter irgendwie Hilfe brauchen, können Sie sich gern an mich wenden. Mein Vater ist Stadtabgeordneter in Kaikoura; entweder melden Sie sich bei ihm oder Sie kommen zu meiner Farm, sie liegt etwa zehn Meilen südlich der Stadt.«
    »Danke, aber …« Lillian stockte, als sich die Schlange erneut ein Stück vorwärtsbewegte. Was auch immer den Verkehr so lange aufgehalten hatte, war offenbar verschwunden.
    »Aber?«, fragte der Fremde lächelnd nach.
    »Aber ich kenne doch Ihren Namen gar nicht«, entgegnete Lillian, anstatt das zu antworten, was sie ursprünglich vorgehabt hatte – dass sie keine Hilfe brauchen würden. »Wie soll ich nach Ihnen fragen?«
    »Oh, verzeihen Sie, dass ich mich nicht längst vorgestellt habe.« Er deutete eine kleine, schuldbewusste Verbeugung an. »Fragen Sie nach Ravenfield. Jason Ravenfield. Und ich hatte die Ehre mit …?«
    »Lillian Ehrenfels.«
    »Dann hoffe ich, dass wir uns eines Tages in Kaikoura über den Weg laufen werden.«
    Bevor Lillian noch etwas erwidern konnte, tönte von drinnen die Stimme des Postbeamten: »Wollen Sie nun rein oder nicht?«
    »Entschuldigung«, rief Lillian, dann trat sie vor.
    Nachdem sie die Briefe in einem großen Umschlag verstaut und aufgegeben hatte, verließ Lillian das Postamt wieder, allerdings nicht, ohne Ravenfield noch ein Lächeln zu schenken. Vielleicht war er ja gar nicht unverschämt, sondern einfach nur direkt: eine Eigenschaft, die sie an Menschen eigentlich schätzte. Würde sie ihn in Kaikoura wiedersehen? Wenn ja, konnte sie ihm vielleicht erklären, dass es sich bei ihrem Begleiter um ihren Großvater handelte. Er hatte ja regelrecht enttäuscht dreingeschaut!
    Vor dem Kutschenstand fand sie ihren Großvater. Er saß auf einem großen Stein, rauchte seine Pfeife und schaute dabei in Richtung Hafen. Beinahe sehnsuchtsvoll ließ er den Blick über das Wasser schweifen. Bereute er etwa, dass er hierhergekommen war?, fragte sich Lillian. Sehnte er sich danach, wieder zurückzureisen?
    Ganz bestimmt nicht, beantwortete sie ihre Frage selbst. Ihr Großvater war kein Mann, der irgendetwas aus einer Laune heraus tat, die schnell wieder umschlagen konnte. Den Plan, das größte Vorhaben seines Lebens gerade hier umzusetzen, hatte er gut durchdacht.
    »Ich bin wieder da, Großvater«, sagte sie, als sie neben ihn trat.
    »Alles erledigt?«, fragte Georg, während er seine Pfeife ausklopfte und sie dann in der Brusttasche seines Gehrocks verschwinden ließ. Obwohl ihm Schweißtropfen auf der Stirn standen, dachte er nicht daran, das Halstuch zu lockern oder auch nur einen Knopf seines Rocks zu öffnen.
    »Ja, die Briefe sind aufgegeben und der Bedienstete hat mir versichert, dass sie noch heute Abend mit dem nächsten Postschiff auf die Reise gehen werden.«
    »Dann wird deine Adele die Briefe bekommen, wenn in Deutschland Frühling ist.«
    »Hauptsache, sie bekommt sie.«
    Ihr Großvater nickte lächelnd, dann legte er seinen Arm um ihre Schultern, als wollte er sich auf sie stützen. »Dann suchen wir uns mal eine Kutsche, die uns nach North Canterbury bringt.«

3
    Der Kutscher war ein junger Mann mit seltsamen Zeichen auf den Wangen, von denen Lillian kaum den Blick abwenden konnte. Offenbar gehörte der Mann zu den Maori, die ihr Großvater während der Reise des Öfteren erwähnt hatte.
    Die Vergangenheit von Georg Ehrenfels war ein wenig nebulös; selbst seine Enkelin wusste nur, dass er sich während seiner Jugend als Seemann verdingt und ein gutes Stück von der Welt
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