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Der Riesenmaulwurf

Der Riesenmaulwurf

Titel: Der Riesenmaulwurf
Autoren: Franz Kafka
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wenig
    übertreibend, zwei Meter an der Wand ab. »O doch«, antwortete
    der Gelehrte, dem das Ganze offenbar sehr spaßhaft vorkam. Mit
    diesem Bescheide fuhr der Lehrer nach Hause zurück. Er erzählt,
    wie ihn am Abend im Schneefall auf der Landstraße seine Frau
    und seine sechs Kinder erwartet hätten und wie er ihnen das end-
    gültige Mißlingen seiner Hoffnungen bekennen mußte.
    Als ich von dem Verhalten des Gelehrten gegenüber dem Lehrer
    las, kannte ich noch gar nicht die Hauptschrift des Lehrers. Aber
    ich entschloß mich, sofort alles, was ich über den Fall in Erfahrung
    bringen konnte, selbst zu sammeln und zusammenzustellen. Da
    ich dem Gelehrten nicht die Faust vor das Gesicht halten konnte,
    sollte wenigstens meine Schrift den Lehrer verteidigen oder, besser
    ausgedrückt, nicht so sehr den Lehrer als die gute Absicht eines
    ehrlichen, aber einflußlosen Mannes. Ich gestehe, ich bereute spä-
    ter diesen Entschluß, denn ich fühlte bald, daß seine Ausführung
    mich in eine wunderbare Lage bringen mußte. Einerseits war auch
    mein Einfluß bei weitem nicht hinreichend, um den Gelehrten
    oder gar die öffentliche Meinung zugunsten des Lehrers umzu-
    stimmen, andererseits aber mußte der Lehrer merken, daß mir
    an seiner Hauptabsicht, dem Nachweis der Erscheinung des
    großen Maulwurfes, weniger lag als an der Verteidigung seiner
    Ehrenhaftigkeit, die ihm wiederum selbstverständlich und kei-
    ner Verteidigung bedürftig schien. Es mußte also dahin kommen,
    daß ich, der ich mich dem Lehrer verbinden wollte, bei ihm kein
    Verständnis fand, und wahrscheinlich, statt zu helfen, für mich
    einen neuen Helfer brauchen würde, dessen Auftreten wohl sehr
    unwahrscheinlich war. Außerdem bürdete ich mir mit meinem
    Entschluß eine große Arbeit auf. Wollte ich überzeugen, so
    durfte ich mich nicht auf den Lehrer berufen, der ja nicht hatte
    überzeugen können. Die Kenntnis seiner Schrift hätte mich nur
    beirrt und ich vermied es daher, sie vor Beendigung meiner ei-
    genen Arbeit zu lesen. Ja, ich trat nicht einmal mit dem Lehrer
    in Verbindung. Allerdings erfuhr er durch Mittelspersonen von
    meinen Untersuchungen, aber er wußte nicht, ob ich in seinem
    Sinne arbeitete oder gegen ihn. Ja, er vermutete wahrscheinlich
    sogar das letztere, wenn er es später auch leugnete, denn ich habe
    Beweise darüber, daß er mir verschiedene Hindernisse in den Weg
    gelegt hat. Das konnte er sehr leicht, denn ich war ja gezwungen,
    alle Untersuchungen, die er schon durchgeführt hatte, nochmals
    vorzunehmen und er konnte mir daher immer zuvorkommen.
    Das war aber der einzige Vorwurf, der meiner Methode mit
    Recht gemacht werden konnte, übrigens ein unausweichlicher
    Vorwurf, der aber durch die Vorsicht, ja Selbstverleugnung meiner
    Schlußfolgerungen sehr entkräftet wurde. Sonst aber war meine
    Schrift von jeder Einflußnahme des Lehrers frei, vielleicht hatte ich
    in diesem Punkte sogar allzu große Peinlichkeit bewiesen, es war
    durchaus so, als hätte bisher niemand den Fall untersucht, als wäre
    ich der erste, der die Augen- und Ohrenzeugen verhörte, der erste,
    der die Angaben aneinanderreihte, der erste, der Schlüsse zog. Als
    ich später die Schrift des Lehrers las – sie hatte einen sehr umständ-
    lichen Titel: »Ein Maulwurf, so groß, wie ihn noch niemand gese-
    hen hat« –, fand ich tatsächlich, daß wir in wesentlichen Punkten
    nicht übereinstimmten, wenn wir auch beide die Hauptsache,
    nämlich die Existenz des Maulwurfs, bewiesen zu haben glaubten.
    Immerhin verhinderten jene einzelnen Meinungsverschiedenheiten
    die Entstehung eines freundschaftlichen Verhältnisses zum Lehrer,
    das ich eigentlich trotz allem erwartet hatte. Es entwickelte sich
    fast eine gewisse Feindseligkeit von seiner Seite. Er blieb zwar im-
    mer bescheiden und demütig mir gegenüber, aber desto deutlicher
    konnte man seine wirkliche Stimmung merken. Er war nämlich
    der Meinung, daß ich ihm mit der Sache durchaus geschadet habe,
    und daß mein Glaube, ich hätte ihm genützt oder nützen können,
    im besten Fall Einfältigkeit, wahrscheinlich aber Anmaßung oder
    Hinterlist sei. Vor allem wies er öfters darauf hin, daß alle seine bis-
    herigen Gegner ihre Gegnerschaft überhaupt nicht oder bloß unter
    vier Augen oder wenigstens nur mündlich gezeigt hätten, während
    ich es für nötig gehalten hätte, alle meine Aussetzungen sofort
    drucken zu lassen. Außerdem hätten die wenigen Gegner, welche
    sich wirklich
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