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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Kommissär Bärlach?«
    »Sehen Sie«, antwortete Bärlach langsam, ebenso sorgfältig jedes Wort überlegend wie Tschanz, »mein Verdacht ist nicht ein kriminalistisch wissenschaftlicher Verdacht. Ich habe keine Gründe, die ihn rechtfertigen. Sie haben gesehen, wie wenig ich weiß. Ich habe eigentlich nur eine Idee, wer als Mörder in Betracht kommen könnte; aber der, den es angeht, muß die Beweise, daß er es gewesen ist, noch liefern.«
    »Wie meinen Sie das, Kommissär?« fragte Tschanz.
    Bärlach lächelte: »Nun, ich muß warten, bis die Indizien zum Vorschein gekommen sind, die seine Verhaftung rechtfertigen.«
    »Wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten soll, muß ich wissen, gegen wen sich meine Untersuchung richten muß«, erklärte Tschanz höflich.
    »Vor allem müssen wir objektiv bleiben. Das gilt für mich, der ich einen Verdacht habe, und für Sie, der den Fall zur Hauptsache untersuchen wird. Ob sich mein Verdacht bestätigt, weiß ich nicht. Ich warte Ihre Untersuchung ab. Sie haben Schmieds Mörder festzustellen, ohne Rücksicht darauf, daß ich einen bestimmten Verdacht habe. Wenn der, den ich verdächtige, der Mörder ist, werden Sie selbst auf ihn stoßen, freilich im Gegensatz zu mir auf eine einwandfreie, wissenschaftliche Weise; wenn er es nicht ist, werden Sie den Richtigen gefunden haben, und es wird nicht nötig gewesen sein, den Namen des Menschen zu wissen, den ich falsch verdächtigt habe.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann fragte der Alte: »Sind Sie mit unserer Arbeitsweise einverstanden?«
    Tschanz zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: »Gut, ich bin einverstanden.«
    »Was wollen Sie nun tun, Tschanz?«
    Der Gefragte trat zum Fenster: »Für heute hat sich Schmied ein G angezeichnet. Ich will nach Lamboing fahren und sehen, was ich herausfinde. Ich fahre um sieben, zur selben Zeit wie das Schmied auch immer getan hat, wenn er nach dem Tessenberg gefahren ist.«
    Er kehrte sich wieder um und fragte höflich, aber wie zum Scherz: »Fahren Sie mit, Kommissär?«
    »Ja, Tschanz, ich fahre mit«, antwortete der unerwartet.
    »Gut«, sagte Tschanz etwas verwirrt, denn er hatte nicht damit gerechnet, »um sieben.«
    In der Türe kehrte er sich noch einmal um: »Sie waren doch auch bei Frau Schönler, Kommissär Bärlach. Haben Sie denn dort nichts gefunden?« Der Alte antwortete nicht sogleich, sondern verschloß erst die Mappe im Schreibtisch und nahm dann den Schlüssel an sich.
    »Nein, Tschanz«, sagte er endlich, »ich habe nichts gefunden. Sie können nun gehen.«

Viertes Kapitel

    Um sieben Uhr fuhr Tschanz zu Bärlach in den Altenberg, wo der Kommissär seit dreiunddreißig in einem Hause an der Aare wohnte. Es regnete, und der schnelle Polizeiwagen kam in der Kurve bei der Nydeggbrücke ins Gleiten. Tschanz fing ihn jedoch gleich wieder auf. In der Altenbergstraße fuhr er langsam, denn er war noch nie bei Bärlach gewesen, und spähte durch die nassen Scheiben nach dessen Hausnummer, die er mühsam erriet. Doch regte sich auf sein wiederholtes Hupen niemand im Haus. Tschanz verließ den Wagen und eilte durch den Regen zur Haustüre. Er drückte nach kurzem Zögern die Falle nieder, da er in der Dunkelheit keine Klingel finden konnte. Die Türe war unverschlossen, und Tschanz trat in einen Vorraum. Er sah sich einer halboffenen Türe gegenüber, durch die ein Lichtstrahl fiel. Er schritt auf die Türe zu und klopfte, erhielt jedoch keine Antwort, worauf er sie ganz öffnete. Er blickte in eine Halle. An den Wänden standen Bücher, und auf dem Diwan lag Bärlach. Der Kommissär schlief, doch schien er schon zur Fahrt an den Bielersee bereit zu sein, denn er war im Wintermantel. In der Hand hielt er ein Buch. Tschanz hörte seine ruhigen Atemzüge und war verlegen. Der Schlaf des Alten und die vielen Bücher kamen ihm unheimlich vor. Er sah sich sorgfältig um. Der Raum besaß keine Fenster, doch in jeder Wand eine Türe, die zu weiteren Zimmern führen mußte. In der Mitte stand ein großer Schreibtisch. Tschanz erschrak, als er ihn erblickte, denn auf ihm lag eine große, eherne Schlange.
    »Die habe ich aus Konstantinopel mitgebracht«, kam nun eine ruhige Stimme vom Diwan her, und Bärlach erhob sich.
    »Sie sehen, Tschanz, ich bin schon im Mantel. Wir können gehen.«
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte der Angeredete immer noch überrascht, »Sie schliefen und haben mein Kommen nicht gehört. Ich habe keine Klingel an der Haustüre gefunden.«
    »Ich habe keine
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