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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger
Autoren: James McGee
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nächsten Morgen in See stechen und Runner Lightfoots Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass diese Dame mit dem Schiff segelte. Die junge Frau war am späten Nachmittag von zwei Constables an Bord gebracht worden. Der Kapitän hatte ihr sogar seine Kajüte zur Verfügung gestellt.
    Als sich die schöne Frau abends an Deck ein wenig ihre Füße vertreten hatte, war es Jeremiah Lightfoot ein Vergnügen und eine willkommene Abwechslung zugleich gewesen, sie zu beobachten. Natürlich waren ihr seine bewundernden Blicke nicht entgangen, und sie hatte ihn mehrmals mit einem Lächeln in den dunklen Augen angesehen. Lightfoot hatte sich vorgestellt, wie es wohl wäre, mit einer solchen Frau zusammen zu sein. Aber es blieb bei der Illusion.
    Die Abenddämmerung senkte sich über den Kai, als eine kleine, hurtige Gestalt in Richtung Schiff rannte. Lightfoot sah den Jungen näher kommen und stand auf.
    Auf der Gangway blieb der Junge stehen und hielt einen gefalteten Zettel in die Höhe. »Ich habe eine Nachricht für die Lady.«
    »Ach, tatsächlich? Und wie heißt du?«
    »Man nennt mich Tooler.«
    Lightfoot versteifte sich und warf einen Blick übers Deck. Der Matrose schnarchte noch immer in seiner Hängematte.
    »Warte hier!«, befahl er dem Jungen.
    Dann ging er zur Kapitänskajüte und sah Licht hinter der Tür brennen. Er klopfte leise.
    »Herein!«
    Sie saß an dem kleinen Tisch und las in einem Buch. Als er eintrat, blickte sie auf und fragte: »Ja, was gibt’s?«
    Das Haar fiel ihr lose auf die Schultern. Das tief geschnittene Dekolletee ihres Kleides spannte sich über ihrem üppigen Busen. Ihre Haut schimmerte im Licht der Laterne. Lightfoot schluckte. »Da ist ein Junge. Er sagt, er habe eine Nachricht für Sie.«
    »Eine Nachricht?«, fragte sie und runzelte die Stirn.
    »Ja, einen Zettel. Er will nicht unter Deck kommen, aber er soll Ihnen die Nachricht persönlich übergeben. Er betont, es sei wichtig.«
    Eine kleine Lüge schadet schließlich nicht, dachte Lightfoot. Er nahm ihr Umhängetuch vom Haken an der Tür und reichte es ihr zitternd.
    Die junge Frau erhob sich, legte sich das Tuch um die Schultern und ging vor Lightfoot aus der Kajüte.
    Der Junge wartete jetzt unter der Laterne am Mast.
    »Du hast eine Nachricht für mich?«, fragte die Frau und schlang das Tuch enger um sich.
    Der Junge hielt den Zettel hoch, kam aber nicht näher. »Ich soll Ihnen das geben …«
    Sie ging zu ihm hin und streckte ihre Hand aus. Der Junge reichte ihr den Zettel und trat aus dem Licht.
    Sie glättete das Papier und las es unter der Laterne. Darauf stand ein einziger Satz: Willkommen in der Hölle.
    Die Gewehrkugel durchbohrte Gabrielle Marceaus rechtes Auge, schleuderte ihren Kopf nach hinten und trat an der Rückseite ihres Schädels wieder aus. Blut, Knochensplitter und Gehirnmasse spritzten umher. Als sie zusammenbrach, fiel ihr der Zettel aus der Hand und flatterte gleich einem taumelnden Schmetterling aufs Deck.
    Lightfoot und der Junge standen neben der Toten. Dann bückte sich Lightfoot, hob den Zettel auf und steckte ihn in seine Tasche. »Mach dich aus dem Staub und vergiss, was du hier gesehen hast«, sagte er zu dem Jungen.
    Tooler drehte sich wortlos um, rannte über die Gangway und verschwand in der Dunkelheit. Völlig ungerührt betrachtete Lightfoot die Tote. Im Licht der Laterne sah die Blutlache unter ihrem Körper aus wie schwarzer Teer.
    Dann richtete sich Lightfoot auf und lief zum Vorderdeck. Nicht einmal der laute Schuss hatte den schnarchenden Matrosen geweckt.
    Lightfoot holte tief Luft, schüttelte den Mann und schrie: »Mord! Mord!«
    Der Schrei hallte weit über den Kai.
    Im zweiten Stock eines aufgelassenen Lagerhauses in zweihundert Metern Entfernung kniete Nathaniel Jago vor einem offenen Fenster, der Lauf des Baker-Gewehrs ruhte auf seiner Schulter. Er schnalzte anerkennend mit der Zunge. Pulverdampf umwehte seinen Kopf wie Tabakqualm.
    »Exzellenter Schuss.«
    Hawkwood senkte das Gewehr. Da seine Schulter noch immer schmerzte und die Muskeln zu schwach waren, hatte er Jagos Schulter als Stütze für den Lauf benutzt. Er wickelte das Gewehr in das Wachstuch ein.
    »Das hat Tooler gut gemacht«, murmelte Jago.
    »Und Jeremiah auch«, sagte Hawkwood.
    Die beiden Männer stiegen die Treppe hinunter und traten auf den Kai hinaus. Als sie eilige Schritte hörten, wichen sie schnell in den Schatten zurück. Der Matrose lief an ihnen vorbei. Bald würde er in Begleitung der Constables
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