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Der Rabbi schoss am Donnerstag

Der Rabbi schoss am Donnerstag

Titel: Der Rabbi schoss am Donnerstag
Autoren: Harry Kemelman
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sehr bewundert.»
    «Allerdings. Und weißt du, was er mir gesagt hat? Dass er genauso empfindet wie ich. Aber was ihn bei der Stange hält, das sind seine drei Söhne, und er hofft, dass sie eine bessere Verwendung für sein Geld finden als er. Daraufhin habe ich nachgedacht und festgestellt, dass es eines gibt, was ich mir mit meinem Geld kaufen kann: ein neues Leben. In meinem Alter haben viele Männer den gleichen Wunsch. Ärzte wollen Geschäftsleute werden, Anwälte wollen College-Professoren werden, Geschäftsleute wollen Maler oder Schauspieler werden. Aber nur wenige realisieren diesen Wunschtraum. Die meisten meinen, es sich nicht leisten zu können, oder sie scheuen das Risiko. Aber ich habe eine Menge Geld und habe es satt, immer nur Geldgeschäfte abzuwickeln. Warum sollte ich nicht mal was anderes ausprobieren? Also habe ich mich umgesehen, und als diese Rohrbough-Möglichkeit auftauchte, dachte ich mir, die würde ich gern übernehmen.»
    «Ich bin froh, dass du mir das gesagt hast, Ben», erwiderte sie. «Ich fürchtete schon, du tätest es nur für mich, weil ich mal was gesagt habe, dass ich ein normales Leben führen und Mitglied einer Gemeinschaft sein wollte.»
    «Dann macht es dir also nichts aus?», fragte er.
    «Ob es mir was ausmacht? Aber Ben, ich finde es wunderbar!»
    «Und du wirst deine Freunde in Chicago nicht vermissen?»
    «Wir haben keine Freunde in Chicago, Ben. Nur Geschäftsbekannte. Wenn man in einem Hotel lebt, sogar in einer großen Suite, in einem Wohnhotel, kann man keinen Freundeskreis aufbauen. Dann ist man immer nur ein Durchreisender. Ach Ben, ich bin ja so glücklich! Komm, das müssen wir unbedingt feiern!»
    «Recht hast du», entgegnete er. «Aber hör zu, ich hatte vor, einer der ortsansässigen Banken einen Besuch abzustatten. Sie sind für die Rohrbough-Lohngelder zuständig, und ich möchte mir sie mal ansehen. Der Chauffeur kann mich dort absetzen, und du fährst schon zurück ins Hotel. Gegen Mittag bin ich wieder da.»
    «Wie willst du feststellen, wem das Grundstück gehört?»
    «Kein Problem. Ich werde mich bei einem der einheimischen Grundstücksmakler erkundigen. Oder bei der Bank. Hör zu, Baby, ich werde dich anschließend abholen, und dann fahren wir die Küste entlang und essen irgendwo in einem Restaurant, wo es frischen Fisch und Meeresfrüchte gibt. Darauf habe ich schon lange Appetit. Was meinst du dazu, Baby?»
    «Herrlich. Aber der Wagen ist doch dann im Hotel, darum wär’s doch bestimmt viel besser, wenn ich dich abhole, oder?»
    «Ich rufe dich an.»

5
    Lawrence Gore, Präsident der Barnard’s Crossing Trust Company, lächelte anerkennend, als Molly Mandell, seine Sekretärin – oder Direktionssekretärin, wie er es nannte –, mit einigen Papieren in der Hand sein Büro betrat. Sie war so tüchtig und energisch, interessiert und arbeitswillig, mitfühlend und verständnisvoll, dass es ein Vergnügen war, sie um sich zu haben.
    Als attraktive Frau von dreißig Jahren sah sie in ihrem marineblauen Kostüm sauber und ordentlich aus. Das wellige, braune Haar trug sie kurz geschnitten und aus der hohen Stirn gekämmt. Die großen, dunklen Augen blickten lebhaft und aufmerksam drein. Sie hatte einen ernsten Mund und ein rundes Kinn, das das Oval ihres Gesichtes vervollständigte. Und sie war klein. Er mochte kleine Frauen, weil er selber so entsetzlich klein war. Wenn er hinter dem Schreibtisch saß, wo nur sein Oberkörper zu sehen war, wirkte er groß. Der lange, schmale Schädel mit dem dichten blonden Haar und den leuchtend blauen Augen saß auf einem muskulösen Hals über breiten Schultern. Es war ein gewisser Schock, wenn er aufstand und man entdeckte, dass er nur wenige Fingerbreit über einsfünfzig groß war.
    Sein Blick richtete sich auf die große, runde Plakette, die sie an ihre Bluse gesteckt hatte. Sie trug in kräftigen Lettern die Aufschrift ‹Women’s Lib›.
    «Ein neuer Modeschmuck, Molly?»
    Flüchtiger Blick auf ihren Busen hinab. «Ach, die Staatslegislative debattiert gerade über das Gleichberechtigungs-Amendment, und wir Mädchen tragen diese Plaketten, um nicht zu vergessen, wofür wir stimmen müssen.» Sie legte die Papiere vor ihn auf den Schreibtisch, setzte sich in den Besuchersessel und sah zu, wie er die Briefe las, die sie aufgesetzt und für ihn zur Unterschrift getippt hatte.
    Sanft in seinem Drehsessel schaukelnd las er jeden einzelnen sorgfältig durch und sagte dann, als er zur Feder griff: «Sie sind
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