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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau
Autoren: R. Scott Bakker
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nackten Fußspuren von Frauen und Kindern und erinnerte sich der niedergebrannten Zelte und all der toten Heranwachsenden, die verstümmelt in den Trümmern gelegen hatten. Und er dachte an die angstvollen Augen seiner Frau, als er mit den anderen losgezogen war, um die Yoägi’i zu überfallen, vor allem aber an ihre ahnungsvollen Worte:
    »Verlass uns nicht, Aënga… Der Große Zerstörer macht Jagd auf uns. Ich hab ihn im Traum gesehen!«
    An einer zweiten Feuerstelle entdeckte er wieder kleine Knochen. Doch diesmal war die Asche noch warm. Selbst die Erde schien die Schreie ihrer Liebsten zu flüstern.
    Sie waren also in der Nähe. Aëngelas aber sagte seinen Stammesbrüdern, sie und die Pferde seien inzwischen zu müde für die Strapazen des Kampfs. Wessen Kind würden die Sranc fressen, schrien sie, während sie sich auf dem harten Boden wälzten? Alle würden sie fressen, sagte Aëngelas, wenn die Werigda in der morgigen Schlacht nicht siegen würden. Deshalb müssten sie schlafen.
    In der Nacht weckten ihn angstvolle Schreie. Bleiche, schwielige Hände zogen ihn von seiner Matte, und er stieß sein Messer in den Bauch des Angreifers. Das Donnern von Hufen stürmte auf ihn ein, und er landete mit dem Gesicht nach vorn im Gras. Er rappelte sich auf und rief seinen Männern etwas zu, doch schon machten schattenhafte Gestalten sich über ihn her, fesselten ihm grausam die Arme hinterm Rücken und rissen ihm die Kleider vom Leib.
    Mit den anderen Überlebenden wurde er an einem Lederriemen durch die Nacht getrieben und weinte, weil er wusste, dass alles verloren war. Nie mehr würde er mit seiner Frau Valrissa schlafen oder seine Söhne am abendlichen Feuer necken. Und immer wieder fragte er sich: Womit haben wir das verdient?
    Im Fackellicht sah er die Sranc mit ihren schmalen Schultern und ihrem spitzen Brustkorb. Sie tauchten aus der Nacht auf wie aus der Tiefe des Meeres. Ihre Gesichter waren unmenschlich schön und weiß wie polierte Knochen. Er roch ihren süßlichen Gestank – wie Kot und faules Obst. In ihre runden Schilde waren geschrumpfte Menschengesiebter gestickt. Er hörte ihr alptraumhaftes Lachen und aus der Ferne das Brüllen der Pferde, die abgeschlachtet wurden.
    Und ab und an sah er Nichtmenschen auf seidenschwarzen Rössern. Valrissas Traum hatte sich bewahrheitet: Der Große Zerstörer machte Jagd auf sie! Aber warum?
    Als sie das Lager der Sranc im grauen Frühlicht erreichten, als Kette von nackten gequälten Menschen, wurden sie von einem Chor von Wehklagen begrüßt. Frauen riefen ihre Namen, Kinder weinten. Die Sranc führten sie zu ihren eingepferchten Familien und nahmen ihnen in einer seltsamen Anwandlung von Mitleid die Fesseln ab. Aëngelas stürzte zu Valrissa und seinem einzig verbliebenen Sohn. Von Schluchzen geschüttelt umarmte er sie und klammerte sich an ihren gekrümmten Rücken. Einen Moment lang gab ihm die schwache Wärme ihrer erniedrigten Körper ein wenig Hoffnung.
    »Wo ist Ileni?«, fragte er, doch seine Frau konnte nur »Aënga! Aënga!« stöhnen.
    Die Ruhepause allerdings war nur von kurzer Dauer. Männer, die ihre Familien nicht finden konnten und entweder allein im kalten Schlamm knieten oder schreiend herumrannten und nach Menschen suchten, die längst tot waren, wurden niedergemetzelt – genau wie jene Frauen und Kinder, deren Mann oder Vater nicht überlebt hatte. Verschont blieben nur die Familien, die wieder zusammengefunden hatten.
    Unter den dunklen Augen der Nichtmenschen ließen die Sranc die Überlebenden in zwei Reihen antreten, so dass die Männer ihren Frauen und Kindern im Schnee auf dem abgestorbenen Wintergras gegenüberstanden.
    Angeleint an einen in den Boden gehämmerten Nagel und vor Kälte zitternd, warf Aëngelas sich wieder und wieder gegen das Seil, das ihn von Frau und Sohn trennte, spuckte und tobte gegen vorbeikommende Sranc und versuchte, Worte zu finden, die seiner Familie ertragen helfen mochten, was ihnen allen bevorstand. Aber er konnte nur ihre Namen weinen und sich dafür verfluchen, Frau und Sohn nicht erwürgt zu haben, um sie vor dem, was geschehen würde, zu bewahren.
    Dann hörte er erstmals die Frage, obwohl sie gar nicht ausgesprochen wurde.
    Eine unheimliche Stille legte sich auf die Werigda, und Aëngelas begriff, dass sie alle die lautlose Stimme vernommen hatten, deren Frage wie ein Echo durch ihre Seele hallte.
    Dann sah er… es. Ein Scheusal, das durch die Morgendämmerung schritt.
    Es war anderthalb mal
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