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Der Patient

Titel: Der Patient
Autoren: John Katzenbach
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jetzt sind es nur noch fünf. Kennst du die Familiengeschichte?«
    »Zwei Kinder sind gestorben. Ja. Und der Vater. Ein Unfall, kann ich mich entsinnen, bei einem schlimmen Sturm. Ja, das Kind war dabei, auch daran kann ich mich erinnern. Das könnte der Auslöser sein. Aber was für eine Behandlung haben wir anzubieten?«
    »Ich lass mir was einfallen, muss mich erst mal einlesen. Natürlich werden wir die Mutter überreden müssen. Keine Ahnung, wie schwer das sein wird.«
    »Wird es teuer für sie?«
    »Nein«, sagte Ricky. Ihm war nicht entgangen, dass Auguste Dumondais ihn so kurz vor Antritt einer Auslandsreise mit Bedacht darum gebeten hatte, das Kind zu untersuchen. Der Plan war leicht zu durchschauen, aber dennoch nicht schlecht. Er hätte vielleicht dasselbe getan. »Ich denke, es wird sie gar nichts kosten, ihn zu mir zu bringen, sobald ich zurück bin.
    Aber vorher muss ich einiges mehr über die Geschichte wissen.«
    Dr. Dumondais lächelte und nickte. »Ausgezeichnet«, sagt er und hängte sich ein Stethoskop um den Hals, bevor er Ricky einen Arztkittel reichte.
    Der Tag brachte so viel Arbeit und verging so schnell, dass Ricky beinahe seinen Flug mit der Caribe Air nach Miami verpasste. Ein Geschäftsmann im mittleren Alter namens Richard Lively, der mit einem erst kürzlich ausgestellten Pass und nur wenigen Stempeln von einer Reihe karibischer Staaten reiste, wurde an der US-amerikanischen Passkontrolle ohne langes Warten durchgewunken. Er verstand, dass keines der offensichtlichen kriminellen Profile auf ihn passte, bei denen es vor allem um Drogenhandel ging. Ricky musste unwillkürlich denken, dass er ein einzigartiger Krimineller war, der in keins der gängigen Schubfächer passte. Er hatte den Flug um acht Uhr morgens nach La Guardia gebucht, und so verbrachte er die Nacht im Holiday Inn des Flughafens. Er duschte ausgiebig und heiß mit gehörig viel Seifenschaum, was er sowohl in hygienischer wie sinnlicher Hinsicht genoss und für ihn nach den spartanischen Verhältnissen, die er gewöhnt war, an reinen Luxus grenzte. Die Klimaanlage, die die Hitze draußen hielt und sein Zimmer temperierte, war eine willkommene Wohltat aus seinem früheren Leben. Dennoch schlief er unruhig und warf sich eine Stunde lang hin und her, bis er endlich einschlafen konnte. Im Lauf der Nacht wachte er zweimal auf – erst mitten in einem Traum über das Feuer in seinem Ferienhaus und dann wieder, als er von Haiti und dem Jungen träumte, der nicht sprechen konnte. So lag er im Dunkeln wach und war ein wenig erstaunt, dass die Bettwäsche zu weich, die Matratze zu gut gefedert war, und er lauschte auf das Summen der Eismaschine am Ende des Flurs und die gelegentlichenSchritte an seiner Tür vorbei, die der Teppich zwar dämpfte, aber nicht vollständig schluckte. In der Stille rekonstruierte er sein letztes Telefonat mit Virgil vor fast neun Monaten.
Es war Mitternacht, als er endlich die Strecke zu seinem billigen Hotelzimmer am Rande von Provincetown zurückgelegt hatte.
    Er empfand eine seltsame Mischung aus Erschöpfung und Energie: Der lange Fußmarsch hatte ihn ermüdet, doch der Gedanke, dass er aus einer Nacht, in der er hatte sterben sollen, höchst lebendig hervorgegangen war, beflügelte ihn. Er hatte sich aufs Bett geworfen und die Nummer ihrer Wohnung in Manhattan gewählt.
    Als Virgil sich beim ersten Klingelzeichen meldete, sagte sie nur: »Ja?«
    »Das ist nicht die Stimme, mit der Sie gerechnet haben«, erwiderte er.
    Sie verstummte augenblicklich.
    »Ihr Bruder, der Anwalt, ist bei Ihnen, nicht? Sitzt Ihnen gegenüber und wartet auf denselben Anruf.«
    »Ja.«
    »Dann sagen Sie ihm, er soll am Nebenanschluss mithören.«
    Binnen weniger Sekunden war auch Merlin in der Leitung. »Hören Sie«, wollte der Anwalt gerade in dreistem Ton die Flucht nach vorne ergreifen. »Sie haben keine Ahnung …«
    Ricky unterbrach ihn. »Ich habe von so manchem Ahnung. Jetzt seien Sie still und hören Sie zu, denn aller Leben hängt davon ab.«
    Merlin wollte etwas entgegnen, doch Ricky sah buchstäblich vor sich, wie Virgil ihm einen Blick zuwarf, der ihn zum Schweigen brachte.
    »Zunächst zu Ihrem Bruder. Er befindet sich derzeit im Mid Cape Medical Center. Je nachdem, was sie dort für ihn tun können, wird er entweder dort bleiben oder aber zur Operation nach Boston geflogen. Die Polizei wird ihm eine Menge Fragen stellen, falls er seine Verwundung überlebt, doch ich glaube, sie wird Mühe haben, das
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