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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe
Autoren: Jonathan Kellerman
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das war einige Zeit nach meinem Abschied vom Militär.«
    »Wo haben Sie gedient?«
    »Am Panama-Kanal«, antwortete Arthur. »Als Stabsarzt an den Schleusen. Ich war bei einigen schrecklichen Unfällen zugegen, habe eine ganze Menge über die Identifizierung von Leichen gelernt. Danach … habe ich einige andere Sachen gemacht, aber schließlich schien die Arbeit als Gerichtsmediziner durchaus angemessen.« Er trank nachdenklich von seinem Martini, und als er das Glas wieder abstellte, war es nur noch halb voll.
    »Aber dann sind Sie in die akademische Welt übergewechselt«, sagte Jeremy.
    »Oh, ja … es schien mir das Richtige zu sein.« Der alte Mann lächelte. »Nun zu meiner Frage. Was ist Ihre Meinung dazu?«
    »Zu sehr schlimmem Verhalten.«
    »Dem allerschlimmsten.«
    Jeremy drehte sich der Magen um. »Auf rein akademischer Ebene?«
    »Oh, nein«, sagte Arthur. »Die Akademie ist die Zuflucht derer, die den großen Problemen auszuweichen versuchen.«
    »Wenn Ihnen der Sinn nach harten Fakten steht …«
    »Mir steht der Sinn nach allem, was Sie anzubieten haben. Weil Sie kein Blatt vor den Mund nehmen.« Arthur leerte sein Glas. »Falls ich Ihnen allerdings zu nahe treten oder Sie beleidigen sollte …«
    »Gewalt«, sagte Jeremy. Er hatte Stunden – endlose Stunden, all diese schlaflosen Nächte – damit verbracht, darüber nachzudenken. »So, wie ich das sehe, ist extrem schlimmes Verhalten eine Kombination von Genen und Umwelt. Wie das meiste von Bedeutung im menschlichen Verhalten.«
    »Eine Mischung aus Natur und Erziehung.«
    Jeremy nickte.
    »Was halten Sie von der ›Bad-seed‹-Theorie?«, fragte Arthur.
    »Der Stoff, aus dem Romane sind«, antwortete Jeremy. »Womit ich nicht sagen will, dass sich ernsthafte Gewalt nicht schon früh manifestiert. Zeigen Sie mir einen grausamen, andere tyrannisierenden, gefühllosen Sechsjährigen, und ich zeige Ihnen jemanden, den zu beobachten sich lohnt. Aber auch wenn üble Neigungen vorliegen, ist eine schlimme Umwelt – eine nicht intakte Familie – nötig, um sie zum Tragen zu bringen.«
    »Gefühllos … solche Kinder haben Sie behandelt?«
    »Ein paar.«
    »Sechsjährige potenzielle Verbrecher?«
    »Sechsjährige, die mir zu denken gaben. Psychologen sind bekanntlich schlecht darin, Gewalttätigkeit vorherzusagen. Oder irgendetwas anderes.«
    »Aber Sie haben Kinder gesehen, die Sie beunruhigt haben.«
    »Ja.«
    »Was sagen Sie den Eltern?«
    »Die Eltern sind fast immer ein Teil des Problems. Ich habe Väter erlebt, denen es großes Vergnügen bereitet hat, wenn ihre Söhne brutal zu anderen Kindern waren. Die Zurückhaltung predigen, wenn Fremde dabei sind – die richtigen Dinge sagen, aber ihr Lächeln verrät sie. Irgendwann. Man braucht Zeit, um eine Familie zu verstehen. Im Grunde leben Familien immer noch in Höhlen. Man muss drinnen sein, um die Schrift an der Wand lesen zu können.«
    Arthur winkte nach einem dritten Cocktail. Nichts in seiner Sprache oder seinem Benehmen wies darauf hin, wie viel er getrunken hatte. Nur seine rote Gesichtsfarbe war ein bisschen dunkler geworden.
    Zumindest, sinnierte Jeremy, würde es niemanden umbringen, wenn
er
mit dem Skalpell ausrutschte.
    Als der Kellner dieses Mal fragte: »Und Sie, Sir?«, bestellte er einen zweiten Macallan.
    Zusammen mit dieser Runde wurde unaufgefordert Fingerfood serviert. Shrimps mit Cocktailsauce, gebratene Zucchini, scharfe, auf schwarze Plastikzahnstocher gespießte Würstchen, dicke Kartoffelchips, die selbst gemacht zu sein schienen. Arthur hatte die Horsd’œuvres nicht bestellt, war aber nicht überrascht.
    Die beiden Männer aßen und tranken, und Jeremy spürte, wie Wärme – eine Woge der Entspannung – von seinen Zehenspitzen bis zu seiner Kopfhaut stieg. Als Arthur sagte: »Ihr Lächeln verrät sie«, war Jeremy einen Augenblick verwirrt. Dann erinnerte er sich: diese unausstehlichen, pathogenen Väter, von denen er gesprochen hatte.
    Er erklärte: »Tu, was ich sage, nicht, was ich tue. Das funktioniert nie.«
    »Interessant«, erwiderte Arthur. »Also hängt alles von der Familie ab.«
    »Die Erfahrung habe ich gemacht.«
    »Interessant«, wiederholte Arthur. Dann wechselte er das Thema.
    Zu Schmetterlingen.
    Exemplare, auf die er während seiner Zeit in Panama gestoßen war. Ausflüge in den Dschungel von Costa Rica. Ein Klima, bei dem »man sogar in Schweiß gebadet war, während man unter der Dusche stand«.
    Der alte Mann trank, spielte mit seiner
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