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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast
Autoren: Rowland
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die ihr mit großen papierenen Fächern kühle Luft zuwedelten.
    »Da seid ihr ja alle! Wie schön!« Keisho-in bedachte Reiko, Midori und Fürstin Yanagisawa mit einem freudigen Lächeln. Die Frauen murmelten höfliche Begrüßungsworte und verneigten sich. »Ich habe euch eingeladen«, fuhr Keisho-in fort, »um euch von meinem großartigen Einfall zu erzählen.« Aufgeregt wie ein Kind ließ sie den Blick über ihre Freundinnen schweifen. »Ich werde zum Fuji -san reisen!«, platzte sie heraus und wies mit einer schwungvollen Handbewegung auf den fernen Fudschijama. Als Wohnsitz der Shinto-Götter und Tor zur spirituellen Welt der Buddhisten verehrt, ragte das riesige natürliche Heiligtum mit seinem schneebedeckten Gipfel in dunstiger blauer Ferne über Edo auf. »Und ihr werdet mich begleiten!«
    Fassungsloses Schweigen breitete sich aus. Reiko sah, dass ihr eigenes Unbehagen sich auf den Gesichtern Midoris und Fürstin Yanagisawas spiegelte. Keisho-in musterte die Frauen mit düsterer Miene. »Eure Begeisterung ist geradezu überwältigend!« Zorn ließ ihre kratzige Stimme noch rauer klingen. »Wollt ihr mich denn nicht begleiten?«
    Die Frauen beeilten sich, Keisho-in zu versichern, wie gern sie die Reise unternehmen würden, denn die Fürstin hatte erheblichen Einfluss auf den Shōgun – und der ließ gnadenlos jeden bestrafen, der seine Mutter enttäuschte.
    »Nichts lieber als das!«, sagte Midori.
    »Vielen Dank, dass Ihr uns aufgefordert habt, mit Euch zu reisen«, erklärte Reiko.
    »Eure Einladung ist uns eine Ehre«, sagte Fürstin Yanagisawa.
    Nach diesen unaufrichtigen Beteuerungen breitete sich erneut Stille aus. Schließlich sagte Reiko: »Aber nach religiösem Brauch ist es Frauen untersagt, den Fuji -san zu betreten …«
    »Oh, wir werden den Berg nicht besteigen.« Keisho-in wedelte mit der Hand. »Wir bleiben im Vorgebirge und erfreuen uns dort an der göttlichen Erhabenheit des Fuji -san .«
    »Vielleicht sollte ich in meinem Zustand keine so weite Reise machen …«, merkte Midori schüchtern an.
    »Unsinn! Die Abwechslung wird dir gut tun. Außerdem sind wir nur zehn Tage fort. Dein Kind wird schon noch warten, bis du zurück bist.«
    Midori warf Reiko einen verzweifelten Blick zu. Ihre Lippen bildeten stumm die Worte zehn Tage, wobei sie sich die Schreckensvision ausmalte, ihr Kind unterwegs zur Welt zu bringen. Auch Fürstin Yanagisawa blickte Reiko an, doch in ihren Augen lag ein freudiger Ausdruck: Sie würde auf einer zehntägigen Reise mit ihrer neuen Freundin zusammen sein – ein Gedanke, der Reiko tiefes Unbehagen bereitete.
    Plötzlich aber schaute Fürstin Yanagisawa in den Garten, wo Kikuko und Masahiro Ball spielten, und ihre Miene verdüsterte sich. »Ich kann Kikuko -chan nicht allein lassen«, sagte sie.
    »Ihr verhätschelt Eure Tochter zu sehr«, meinte Keisho-in. »Sie muss endlich lernen, ohne ihre Mutter zurechtzukommen – je eher, desto besser.«
    Fürstin Yanagisawa krampfte die Hand um das Geländer der Veranda. »Mein Gemahl …«
    »Er wird Euch nicht allzu sehr vermissen«, sagte Keisho-in grob, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Fürstin.
    »Aber wir werden auf der Reise fremden Menschen begegnen und an fremde Orte kommen.« Die Stimme Fürstin Yanagisawas bebte nun vor Anspannung, die ihrer Schüchternheit entsprang.
    Keisho-in ließ ein unwilliges Schnaufen hören. »Beim Reisen geht es nun mal darum, dass man Dinge sieht, die man zu Hause nicht zu sehen bekommt!«
    Midori und Fürstin Yanagisawa wandten sich Reiko zu. Auf ihren Gesichtern lag die stumme Bitte um Hilfe. Auch Reiko wollte Masahiro nicht allein lassen; auch sie wollte lieber bleiben und Sano bei dessen Ermittlungen helfen. Und der Gedanke, dass Fürstin Yanagisawa wie ein Blutegel an ihr kleben würde, erfüllte sie jetzt schon mit Furcht und Schrecken. Auch Keisho-in stellte eine Bedrohung dar: Die Mutter des Shōgun besaß einen gewaltigen sexuellen Appetit, den sie sowohl mit Männern als auch mit Frauen stillte. Schon einmal hatte Keisho-in auch bei Reiko Annäherungsversuche gemacht, und es war Reiko nur mit viel Glück gelungen, die Zudringlichkeiten der Fürstin zurückweisen, ohne deren Zorn auf sich und Sano herabzubeschwören.
    Seitdem lebte Reiko in ständiger Furcht vor neuerlichen Avancen Keisho-ins. Doch sie durfte es nicht wagen, dahingehende Einwände zu erheben. Ihre einzige Hoffnung, dass die Pilgerreise ihr erspart blieb, bestand darin, an Keisho-ins eigene Interessen zu
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