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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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rann von seiner rasierten Stirn. In seinem Magen schien sich ein massiger Giftpilz aufzublähen.
    Um sich abzulenken, lenkte er seinen Blick vom Fenster fort, zu der alten Frau hinüber, die neben ihm saß. Sie hatte seit dem Abflug selig vor sich hin geschnarcht, jetzt jedoch starrte sie Jorge mit großen Augen an.
    Sie war mindestens siebzig, ihr Gesicht bestand aus einem weitverzweigten Gitternetz tiefer Furchen und Falten. Ihre Augen verschwanden in Wülsten rosigen Fleisches. Sie trug ein schwarzes Kleid, als wäre sie auf dem Weg zu einer Beerdigung. Was für eine Ironie, fand Jorge, wenn man bedachte, was das Ziel seiner Reise war.

»Ist Ihnen nicht gut, junger Mann?« Die Stimme der Greisin klang erstaunlich hell, viel zu jung für ihren welken Körper.
    Jorge schluckte einen Schwall Speichel, der sich in seinem Mund angesammelt hatte. Sein Herz prügelte wie verrückt gegen seinen Brustkorb. Verdammt, er musste sich zusammenreißen! Er war schließlich nicht irgendwer. Er war Jorge der Erwischer, bei Batardos! Einer der ranghöchsten Beamten des IAIT. Naja, fast zumindest …
    »Es gibt da ein altes Trollsprichwort, und es geht so.« Jorge fühlte sich wirklich saumäßig. »Es geht so, junge Frau: Fliegen, nein danke!«
    Die Greisin lachte, ein glockenhelles Geräusch in der weitläufigen Passagierkabine. Es klang nicht herablassend. »Ja, da kann ich Sie gut verstehen, Herr …?«
    »Jorge«, stieß Jorge hervor. »Name sein Jorge. Jorge sein Troll]« Es war keine Absicht, Jorge wollte nicht ironisch klingen, aber seine Flugangst absorbierte jegliche Grammatikkenntnisse, die er möglicherweise einst besessen hatte.
    »Sie sind ein Troll?«, fragte die Frau. »Sie sehen gar nicht aus wie einer.«
    »Ich rasieren …« Jorge schloss die Augen, schluckte erneut. Die riesige Flugmaschine um ihn herum legte sich in die Kurve, so dass er tief in seinen Sitz gepresst wurde. »Ich wollte sagen, ich rasiere mich anständig und regelmäßig. Und du? Ich meine natürlich: Du rasierst dich nicht, es gibt ein altes Trollsprichwort, und das geht so: Alte Damen rasieren sich nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Oder so ähnlich.«
    Jorge konzentrierte sich auf seinen Atem. Tief ein- und ausatmen, regelmäßig. Er hatte das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn sein nächstes Atemschöpfen nicht tief genug ausfiele. Was, bei Batardos, hatte er sich bloß dabei gedacht, in diesen Wahnsinn einzuwilligen?
    Als ihn am Vormittag der Wortwurf von Geheimrat Karliban erreicht hatte, dem Obersten Lenker der staatlichen Ermittlungsbehörde, für die Jorge arbeitete, hatte die Idee mit der Flugreise noch ganz reizvoll geklungen. Rückblickend musste das aber daran gelegen haben, dass ihm die Wüstensonne von Orshlach in den vorangegangenen drei Tagen restlos das Hirn weggebrutzelt hatte. Aber was sollte er machen? Den letzten Urlaub, an den er sich erinnern konnte, musste er irgendwann vor seiner Geburt genommen haben, und ein altes Trollsprichwort empfahl: Wenn du schon mal in einer maßlos dekadenten Pension wie dem »Nalpanters Stolz« mitten in der Wüste von Rogozhink einquartiert wirst, in Räumlichkeiten, geräumiger und komfortabler als alles, was du in deinem Leben bewohnen durftest oder je wieder bewohnen wirst – genieß es gefälligst!
    Und Jorge hatte es genossen. Gemeinsam mit einer kleinen Schar gut betuchter Gäste hatte er die Zeit seit seiner Ankunft damit zugebracht, sich von halbnackten Schönheiten massieren, von servilen Echsenmännern exotische Alkoholika servieren und seinen Leib mit der delikaten Kost füllen zu lassen, die es in der Oase rund um die Uhr gab.
    Ein nicht gerade billiger Spaß, aber er hatte es sich verdient, bei Batardos! Der Fall um den »Elbenschlächter«, wie die Presse den wahnsinnigen Serienmörder getauft hatte, welchen er gemeinsam mit seinem Vorgesetzten kaum zwei Zenite zuvor zur Strecke gebracht hatte, steckte ihm noch in den Knochen. Da war ein wenig Erholung mehr als angebracht.
    Unglücklicherweise war der Wortwurf des Mauls, wie Geheimrat Karliban aufgrund einer fragwürdigen Episode in seiner Vita von seinen Untergebenen genannt wurde, von unmissverständlicher Dringlichkeit gewesen. Jorge hatte sich gerade im Dampfbad von »Nalpanters Stolz« befunden, wo vier knackige junge Mädchen verschiedene Stellen seines Leibes gleichzeitig mit tiefgreifenden Zärtlichkeiten bedachten, als die kehlige Stimme des Geheimrats wie aus dem Nichts mitten im Raum
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