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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Augenwinkel erkannte er, wie Hippolit auf die Knie sank. Es sah aus, als würde er von einem unsichtbaren Gewicht zu Boden gedrückt. Einen Moment lang wehrte er sich dagegen, fuchtelte mit den Armen, fluchte, doch dann schien sein Widerstand gebrochen. Wie eine Marionette mit gekappten Fäden sackte er in sich zusammen. Das blonde Mädchen musste irgendetwas Thaumaturgisches mit ihm angestellt haben! Mit gesenktem Kopf kniete Hippolit am Boden, die Arme baumelten nutzlos an den Seiten seines Körpers herab.
    »Das ist das Ende«, flüsterte Jorge in Richtung seiner Brusttasche. »Tut mir leid, Kleines … dass es … so enden muss.«
    Überleben heißt, schuldig zu sein.
    Sterben heißt, noch schuldiger zu werden.
    Ein letztes Mal nahm er all seine Kraft zusammen, ignorierte die aufbrüllenden Schmerzen und stemmte sich mit der verbliebenen Hand in eine halb aufrechte Position hoch.
    Die junge Frau starrte ihn mit großen Augen an.
    »Was hast du mit M.H. gemacht, du verdammtes Biest?«
    Jorge erwartete, dass das Mädchen anfangen würde zu lachen. Aber das geschah nicht. Fast traurig sah sie auf ihn hinab.
    »Was ich mit ihm gemacht habe, fragst du? Wie naiv! Aber was soll man schon erwarten, du bist schließlich nur ein Troll. Bisher habe ich nur mit ihm gespielt. Bisher.« Ein Lächeln, kurz und hässlich, huschte über ihre Züge. »Aber keine Angst: Ihr kommt noch an die Reihe, beide! Vorher allerdings gibt es für mich etwas Wichtigeres zu erledigen …«
    Hippolit spürte, wie das heiße Bodengitter in seine Handflächen schnitt. Tief unter dem stählernen Geflecht erkannte er die unheilvolle Glut der Ewigen Flamme, wie sie unbeteiligt Körper um Körper verschlang. Mühsam hob er den Kopf.
    Lith stand noch an derselben Stelle, von der sie die Jenseitige Zwinge über ihn gewirkt hatte. Auf ihrem Gesicht, das mittlerweile weder bezaubernd noch naiv wirkte, lag ein triumphierendes Lächeln.
    An ihrer Seite hatte Flarian es mittlerweile Hippolit gleichgetan: Er war auf die Knie gesunken. Mit krallenartig gespreizten Fingern klammerte er sich an den Hüften seiner Geliebten fest, während seine blassen Lippen unverständliche Worte formten, mit denen er zu ergründen hoffte, was mit ihm geschehen war. Nach Hippolits Schätzung musste die Wirkung von Behemals Ritual jeden Augenblick nachlassen.
    Interessanterweise schien Lith der erbarmungswürdige Zustand ihres Geliebten nicht sonderlich nahezugehen. Unbeteiligt drehte sie den Kopf in Richtung des Ghouls, jener grotesken Bestie, an deren Existenz Hippolit bis vor Kurzem nicht geglaubt hatte. Die Kreatur stand einige Schritte entfernt, wie ein Hund, der darauf wartet, dass man ihm ein Stöckchen zum Apportieren hinwirft. Seine Beine, die über ein zusätzliches Gelenk dicht über den Fußknöcheln verfügten, wiegten den riesigen, albtraumhaften Leib rhythmisch auf und ab, knotige Muskeln zeichneten sich unter der schwärenden Haut ab. Geifer troff von hyänenartigen Lefzen.
    Noch widerlicher als die Physis der Kreatur war allerdings der Anblick ihrer schwarzen, tief in den Höhlen liegenden Augen. Als Lith den Ghoul ansprach – zu leise, als dass Hippolit die Worte über dem allgegenwärtigen Dröhnen hätte verstehen können –, glomm es in ihnen auf, ein Funkeln, das sklavische Verehrung auszudrücken schien.
    Und eine Intelligenz, die über die eines Tiers weit hinausging!
    Ein absurder Gedanke machte sich hinter Hippolits Stirn breit, eine vage Ahnung, was all dies möglicherweise zu bedeuten hatte. Doch ein dumpfes Stöhnen lenkte seine Aufmerksamkeit ab.
    Jorge lag sechs Schritte entfernt auf dem Stahlgitter. Er war furchtbar blass, die Haarstoppeln in seinem grau verfärbten Gesicht zeichneten sich mit ungewohnter Deutlichkeit ab. Der pulsierende Blutstrom, der aus seinem Armstumpf floss, wurde zwar schwächer, doch er musste mindestens zwei Krug Blut verloren haben. Wie viel genau, ließ sich nicht beurteilen, da alles sofort durch das Gitter rann und in der heißen Luft unterhalb der Balustrade verdampfte.
    Jorges Lider flackerten. Hippolit durchforstete sein Hirn hektisch nach einem probaten thaumaturgischen Hilfsmittel.
    Ein schwacher Schrei, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag, ließ ihn aufblicken.
    Der blonde Jüngling, eben erst ins Leben zurückgekehrt, war an der Seite seiner Geliebten zusammengebrochen. Er stieß einen zweiten kehligen Laut aus, der rasch in ein Röcheln überging und schließlich verebbte. Sein Blick brach.
    Flarian war tot,
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