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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
Autoren: Sobo
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neben Vasen, Kronleuchtern, Wanduhren und Porzellantassen.
    Wie ich aus dem qualmenden Zeppelin hierher gelangen konnte, war mir schleierhaft. Vor und um das Podest herum saßen Männer und Frauen auf Stühlen. Sie hoben hin und wieder den Arm, woraufhin der Mann auf dem Podest freudig weiterdröhnte.
    »Sechsundzwanzig Reichsmark zum Ersten, zum Zweiten und  … siebenundzwanzig für die Dame! Wer bietet mehr?«
    Alle Arme blieben unten.
    »… und siebenundzwanzig zum Dritten!«
    Der Mann am Podest schlug mit einem Hammer auf den Tisch, dass es nur so krachte.
    Die Frau kam nach vorne, nahm mich in Empfang, zahlte und ging an ihren Platz zurück. Kaum hatte sie sich hingesetzt, schaute sie mich an und rief plötzlich so laut, dass alle es hören konnten: »Der Mund geht nicht auf!«
    Die anderen drehten die Köpfe nach ihr um.
    Klar geht der nicht auf, hätte ich sagen wollen, ist ja auch zugeleimt. Mit oberbayerischem Holzleim.
    »Ein Nussknacker, der den Mund nicht aufmachen kann!«, rief die Frau, als käme das einem Weltuntergang gleich.
    Die anderen schienen nicht zu begreifen. Sie blickten die Frau verständnislos an, bis diese schrie: »Der kann keine Nüsse knacken!«
    Der Mann auf dem Podest unterbrach die Versteigerung, zuckte mit den Schultern und sagte: »Kann ich doch nichts dafür!«
    Die Frau starrte mich fassungslos an. »Der ist ja zu nichts zu gebrauchen!«
    »Höchstens als Talisman!«, rief jemand aus der Menge, und alle lachten, nur die Frau nicht. Sie stürmte mit mir aus dem Saal.

1912 – 1914, Belfast, Southampton, Irland, Nordatlantik
    »Willst du, Dorothy Gibson, den hier anwesenden Hans Otto Lord von Breitenbach zu deinem Gemahl nehmen?«
    »Ja!«
    »Und du, Hans Otto Lord von Breitenbach, willst du die hier anwesende Dorothy Gibson zu deiner Gemahlin nehmen?«
    »Ja!«
    »Dann seid ihr von nun an Mann und Frau, bis dass der Tod euch scheidet.«
    Ich lag noch immer in der Schachtel und hörte, wie Musik einsetzte. Eine Orgel spielte feierlich. Dann sangen Leute dazu. Das war eindeutig eine Feier, eine Hochzeitsfeier, eine Trauung. Daran bestand kein Zweifel. Die Hauptdarsteller: Dorothy Gibson und Lord von Breitenbach. Was ich dabei für eine Rolle spielte, war mir allerdings schleierhaft. Die Orgel verstummte, doch kurz darauf erklang schon wieder Musik –dieses Mal Streichinstrumente. Dann öffnete sich langsam der Deckel meiner Schachtel, und endlich begriff ich, was das alles zu bedeuten hatte.
    Ich stand auf einem großen, festlich gedeckten Tisch, eine Art Tafel, umgeben von Blumen und unzähligen, in buntes Geschenkpapier eingewickelten Schachteln. Als der Deckel meiner nach Möbelpolitur riechenden Kiste offen war, erschien die Dame, die mich angeblich als Talisman erworben hatte, wieder in meinem Blickfeld. Aber nicht nur sie. Ihre Hand, die dieses Mal in einem weißen, langen Handschuh steckte, nahm mich aus der Kiste. Sie reichte mich der freudig strahlenden Braut, die in einem weißen Hochzeitskleid mit einer meterlangen Schleppe und einem durchsichtigen Schleier vor dem Gesicht am Tisch stand. Die Braut sah ziemlich hübsch aus und war noch blutjung. Fast noch ein Kind. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass in ihrem Alter schon geheiratet werden konnte.
    »Meine liebe Dorothy«, sagte die Dame mit zittriger Stimme und ganz feierlich. »Dieser Nussknacker, ein Symbol meiner Anteilnahme an deinem bisherigen Leben, soll dich auf deinem weiteren Lebensweg begleiten, den du von nun an ohne mich, dafür gemeinsam mit deinem geliebten Gatten beschreiten wirst.«
    »Bravo, Madame!«, rief ein älterer Herr, der jetzt neben die Braut trat und begeistert in die Hände klatschte. »Aber zuerst entführe ich Ihre Stieftochter und mit ihr diesen entzückenden Nussknacker nach New York!«
    Der Mann trug einen schwarzen Anzug und war allem Anschein nach der Bräutigam, obwohl er vom Alter her eher wie der Brautvater aussah. Er hatte schütteres Haar und einengrauen Schnauzbart, war ziemlich dick und einen halben Kopf kleiner als Mrs Gibson.
    »Nach New York?«, fragte Dorothy erstaunt. Sie blickte zuerst mich ungläubig an, als hätte sie noch nie im Leben einen Nussknacker gesehen, dann ihren Mann, als würde ihr erst jetzt der riesige Altersunterschied zwischen ihr und dem Lord auffallen.
    »Ja, mein Schatz! New York! Wir fahren nach New York in die Flitterwochen!«
    Lord von Breitenbach klatschte wieder in die Hände. Dann nahm er die kleine schmale Hand von Dorothy, die
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