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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See
Autoren: Danella Utta
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mich erkannt.
    Sie wurde so weiß wie die weißgekalkte Wand hinter ihr, ihre Augen starrten mich mit so fassungslosem Entsetzen an, daß mir die wohlüberlegte Begrüßung im Hals steckenblieb.
    Ich stand nur da und sah sie an. Dieses junge, hilflose, entsetzte Gesicht. Ich sah, wie schmal sie geworden war, wie kummervoll sie aussah. Ich begriff, daß alles für sie noch viel schlimmer gewesen sein mußte, als ich es mir vorgestellt hatte. Und sie tat mir so leid. Mir tat geradezu das Herz weh, als ich sie so vor mir sah. Und jetzt eigentlich erst – vorher hatte ich es gar nicht so genau gewußt –, jetzt wurde es mir klar, wie gern ich sie hatte. ›Freund‹, hatte ich einmal gedacht. Ich hatte es nicht vergessen. Auch nicht, wie wir in der Nacht herumgeirrt waren und René gesucht hatten.
    »Ilona!« sagte ich leise. »Schauen Sie mich doch nicht so entsetzt an. Ich bin kein Gespenst. Hat man Ihnen nicht gesagt, daß ich mit dem Leben davongekommen bin?«
    Ich versuchte den Ton wiederzufinden, in dem wir damals immer miteinander gealbert hatten, aber er stellte sich nicht ein. Mir fiel überhaupt nichts mehr ein, was ich zu ihr sagen sollte.
    »Was – was wollen Sie hier?« fragte sie schließlich.
    »Ich wollte Sie sehen, Sie sprechen.«
    »Warum? Oh, warum? Lassen Sie mich doch. Bitte, gehen Sie. Bitte.«
    Ihre Lippen zitterten, und sie sah aus, als würde sie gleich umfallen.
    »Bin ich denn so schrecklich für Sie?« fragte ich. Eine dumme Frage, natürlich. Aber es fiel mir absolut nichts anderes ein. Meinetwegen war ihr Bruder in den Abgrund gestürzt – aber das war natürlich Unsinn, so durfte man es nicht sehen, und so sah sie es sicher auch nicht, aber ich dachte eben jetzt daran.
    »Bitte, gehen Sie«, wiederholte sie. »Ich will nicht – ich will über das alles nicht sprechen.«
    »Wir brauchen nicht darüber zu sprechen, Ilona!« Ich beugte mich vor, legte meine Hände rechts und links auf diese dumme Theke, die uns trennte. »Nicht darüber. Ich weiß alles, wie es gewesen ist. Und es ist vorbei. Auch für Sie.«
    »Nein«, flüsterte sie, »nicht für mich.«
    »Doch. Auch für Sie. Wir sprechen nicht davon. Ich will nur wissen, wie es Ihnen geht. Und ich dachte, vielleicht interessiert es Sie auch, wie es mir geht.«
    Sie sah mich nur an, stumm und unglücklich. Und sie tat mir so leid.
    »Und dann gibt es auch noch verschiedenes sonst, worüber wir reden können. Es sind so ein paar Dinge, die ich mit Ihnen besprechen möchte.«
    »Die Sie mit mir – besprechen wollen?«
    »Ja«, sagte ich, räusperte mich, richtete mich auf und fand langsam wieder zu mir selbst. »Sehen Sie, ich war lange krank, Sie werden es ja wissen. Aus dem Verkehr gezogen gewissermaßen. Jetzt muß ich langsam anfangen, mich wieder an das Leben zu gewöhnen. Ich meine, ich muß Entschlüsse fassen, und so was alles.« Ich räusperte mich wieder. »Was ich so in nächster Zeit tun werde, Sie verstehen?«
    Sie sah mich an und verstand.
    »Jacques Thorez hat mir eine großartige Stellung angeboten. In seinen Werken – verstehen Sie? Und in München bei meiner Firma will man mich wiederhaben. Das sind alles so Sachen. Erst muß ich mich ja ein bißchen erholen, ich bin noch recht wacklig. Nicht mehr viel, es geht mir schon wieder ganz gut. Aber …« Ja, was eigentlich noch?
    Ein Herr, der aus dem Hintergrund auftauchte, half mir weiter. Er trug einen grauen Trachtenanzug mit grünen Aufschlägen, ein breitschultriger braungebrannter Mann mit silbernen Haaren, ein echter wohlgebauter Tiroler. Er war offensichtlich der Hotelbesitzer, denn er sagte: »Grüß Gott«, und dann: »Der Herr möchte ein Zimmer?«
    »Oh ja«, sagte ich eilig, »das ist gar keine schlechte Idee. Ein Zimmer könnte ich schon brauchen.«
    Er blickte etwas befremdet auf Ilona, die dastand, ohne sich zu rühren und ohne ein Wort zu sagen, und dann sagte er: »Bitte sehr, der Herr. Wir hätten ein schönes Balkonzimmer mit Bad. Wir haben auch noch andere Zimmer, es ist ja jetzt eine ruhige Saison. Wenn Sie sich vielleicht etwas anschaun wollen …«
    »Ja«, sagte ich, »gern. Das heißt, es ist egal. Ich nehme das Balkonzimmer mit Bad, es ist sicher sehr hübsch.«
    »Bittschön«, sagte er. »Dann rufen's den Hausdiener, Fräulein Ilona. Haben Sie Ihr Gepäck schon da?«
    »Nein, es ist im Wagen. Der steht da drüben bei der Kirche, ich hol' ihn dann gleich.«
    Und dann schwieg ich und lächelte ihn an, er lächelte zurück, etwas
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