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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann
Autoren: Heinz Sobota
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schweigt. Meine Leistungen in der Schule sind bemerkenswert, im zweiten Trimesterzeugnis, vier Nichtgenügend, in Deutsch, Englisch, Mathematik und geometrischem Zeichnen. Meine Mutter kommt zur Sonntagnachmittagsmesse und ist gerührt über meine meßhelferische Tätigkeit im roten Rock und dem weißen Chorhemd. Dann zeige ich ihr das Zeugnis. Sie fällt fast in Ohnmacht.
    »Der Vater erschlägt dich«, sagt sie und ringt die Hände. Ich lutsche Pfefferminzbonbons, damit man den Wein nicht riecht. Ich bin eher sorglos. Dann wachse ich acht Zentimeter in zwei Monaten, bin zwölfeinhalb und einszweiundachtzig groß, mit siebenundfünfzig Kilo.
    Ich breche zusammen und liege dann zu Hause, gepflegt, gehätschelt und verwöhnt. Bin Mittelpunkt, sie sprechen leise, wenn sie ins Zimmer kommen, die Ärzte und der Vater, die Mutter und fremde Leute. Man redet vom armen Kind und Epilepsie. Kein Mensch fragt nach dem Zeugnis oder meinen nikotingelben Fin gern.
    Elektroencephalogramm und monatelange Beobachtungen in der neurologischen Klinik. Kapazitäten bohren und wühlen, und ich schweige verschlossen. Psychiater und Psychologen, Heilmagnetiker und Hypnotiseure. Ich lebe in Wartezimmern von Ordinationen und Seancezimmern, sie klopfen an meinem Kopf, verschreiben Dutzende Medikamente, schreiben dicke Gutachten, kassieren Honorare und zucken bedauernd mit den Achseln. Mein Vater ist unsichtbar, Mutter und meine Tante haben das Kommando übernommen. Und als Wien fertig konsultiert ist, kommen Zürich und Frankfurt, obskure Wunderheiler und schlechtriechende Handauflegerinnen. Nach sieben Monaten bin ich kurz vor dem Überschnappen, dann spricht Großvater ein Machtwort.
    »Loßts den Buam sogn wos er wüll«, sagt er und sein Schnurrbart wippt bös auf und nieder.
    Ich gehe nach Laa an der Thaya ins Internat, lerne in vier Wochen den Stoff von vier Monaten nach, habe drei Freundinnen, bin Kettenraucher und bekomme das erste Geld von einer Nutte. Sie heißt Frieda, ist achtzehn und geht am Wochenende in Wien auf den Strich. Sie küßt an meinem Schwanz herum und alles wäre herrlich, doch dann verprügelt mich ihr Zuhälter.
    Er war zwanzig Kilo schwerer und zehn Jahre älter. Vier Tage kann ich kaum auf den Beinen stehen.
    »Dir tut etwas sehr weh«, sagt sie, Jasna, elfenhaft und lieb, vierzehn, und ich knurre.
    »Nein«, und verliebe mich in sie. Händchen halten und zarte Küsse. Daneben organisiere ich eine Diebesbande. Die fliegt auf, einer verpfeift mich, und mein Vater erscheint nach acht Monaten auf der Bildfläche. Er erschlägt mich beinahe, der dazwischentretende Erzieher verhütet das Ärgste. Jasna leckt meine Wunden, und ich hasse den Alten zum erstenmal so, daß ich ihn umbringen möchte.
    Mein unschuldiges Verhältnis widerspricht herrschenden Moralauffassungen. Ende des Schuljahres erhalte ich ein akzeptables Zeugnis und bin mit einem Genügend in Betragen wieder relegiert.
    »Du bist nichts als ein Haufen Scheiße im Körper eines Menschen«, sagt mein Vater, und Mutter weint bekümmert.
    Alles trägt Blue jeans.
    »Dieser amerikanische Dreck kommt mir nicht ins Haus«, tobt mein Vater, als ich den schüchternen Wunsch äußere. Bill Hailey, Eddi Cochran und Elvis Presley sind mir verboten zu hören.
    Wegen eines Posters von Little Richard befiehlt mir der Vater vierhundert Kniebeugen, nach zweihundert komme ich nicht mehr hoch. »Damit du mich in Zukunft mit Niggerfratzen verschonst«, sagt er. Ich klaue fünftausend Schillinge, kaufe mir fünf Blue jeans, einen genieteten Gürtel und die erste Flasche Whisky meines Lebens.
    In einem dreckigen Hotel am Ende der Wiedner Hauptstraße erwache ich zwischen zwei grellen Nutten. Sie streiten um jede Berührung, oder besser um jeden grünen Lappen. Eine säuft meine Pisse, und die andere lehrt mich sie lecken.
    »Steck ihn mir in den Hintern«, sagt sie, und ich tue es. Die zweite masturbiert, und blaugeäderte Brüste quellen in mein Gesicht.
    Dann ist das Geld zu Ende, die Pissoirforellen verschwunden, und ich breche bei meinem Onkel, einem pensionierten Gendarmerieoberst, ein und klaue seine Pistole, eine winzige Steyr Kal. 6.35 mit Kipplauf. Nach fünf Tagen Streunen halte ich an einem Vormittag einem Urlauberehepaar die nicht geladende Waffe unter die Nase und fordere die Urlaubskasse. Sie sind alt und haben kein Geld, ich lasse sie gehen und warte auf Lukrativeres, dann erscheint die Gendarmerie, und ich bin festgenommen.
    Abends werde ich meinem Vater
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