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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg
Autoren: Wolf Serno
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nach: ›Durch seine Erscheinung gewinnt der Redner Vertrauen, und das ist dann der Fall, wenn er als rechtschaffener oder freundlich gesinnter Mensch oder beides überzeugt.‹ Nun, ich bin nicht sicher, ob mir das gelingen wird, aber …«
    Wie erhofft, protestierten einige der Anwesenden.
    »Gut, gut. Offenbar ist es mir halbwegs gelungen, das Wohlwollen deiner Gäste, lieber Lukas, sowie deren Aufmerksamkeit zu gewinnen. Nach der Schilderung des Sachverhaltes – in diesem Fall dein heute bestandenes Examen und die damit verbundenen Begleitumstände – will ich zur Beweisführung kommen, das heißt, ich will nach allen Regeln der Kunst darlegen, warum du dein Examen mit Auszeichnung bestanden hast, und ich verspreche, meine Ausführungen nach nicht allzu langer Rede zu beenden, um mich auf diese Weise noch einmal des Wohlwollens aller Anwesenden zu versichern …«
    So sprach er, und die Rede, die er hielt, war sehr schön. Gehalten in geschliffenem, elegantem Latein. Lediglich die Passage, in der er ein Loblied auf meine Artistenkünste anstimmte, brachte mich ein wenig in Verlegenheit. Umso erleichterter war ich, als der bezechte Eugenius Röist plötzlich dazwischenlallte:
    »Jedes Lebewesen is ein Wesen
    Irgendein Mensch ist ein Lebebesen, äh, -wesen
    Äh, also: Irgend’n Mensch is ein Wesen …«
    Er wurde zum Schweigen gebracht. Wentz fuhr fort, als wäre nichts geschehen: »Lieber Lukas, du hast deinen Magister wie heutzutage üblich nach der Methode der
Via moderna
gemacht und zählst damit zum großen Kreis der Nominalisten, jener also, für die ein Begriff wie ›Glück‹ lediglich ein Name ist, ein Ab-straktum, das nur dann real wird, wenn es mit etwas anderem eine Bedeutung erlangt, etwa als Glückspfennig, als Liebesglück, als Glücksgöttin. Nun, der ›glückliche‹ Umstand, dem wir diesen Abend zu verdanken …«
    »Kein Lebewesen is ein S… Stein
    Irgend’n Mensch is ein Lebewesen
    Also: Irgend’n Mensch is kein Stein …«
    »Jaja, schon gut.« Der Nachbar von Eugenius Röist, ein junger Bursche namens Wolfhart Schaler, hielt ihm energisch den Mund zu. Der Betrunkene gab einen gurgelnden Laut von sich.
    »Jedes Lebebesen-wesen is ein …«
    Wentz lächelte etwas gequält und wiederholte: »… der ›glückliche‹ Umstand, dem wir diesen Abend zu verdanken haben, ist dein bestandenes Examen, lieber Lukas. Und um weiter im Terminus zu bleiben: Du bist ein Glückspilz, der …«
    Wieder wurde er unterbrochen, doch diesmal war es das Geräusch quietschender Angeln, als eines der Bleiglasfenster von der Straße her aufgerissen wurde. In der Öffnung erschien ein Pferdekopf, und eine Stimme rief: »
Gratulatio,
lieber Lukas! Der Examensschmaus oder besser: die
Prandia Aristoteles,
wie man als gelehrter Herr zu sagen pflegt, ist also schon in vollem Gange!« Da der Gaul in diesem Augenblick das Maul bewegte, sah es aus, als wäre er es gewesen, der gesprochen hatte. Welch erheiternder Anblick!
    Doch schon erschien neben dem Pferdekopf ein Menschenkopf. Er gehörte Pisculus Caerulus – einem leicht verrückten, aber liebenswerten Artisten, der nichts als Flausen im Kopf hatte und deshalb sein Studium ständig vernachlässigte. Dieser Bursche war es auch gewesen, der mir an meinem ersten Tag in Basel vorgeschlagen hatte, mit ihm einen trinken zu gehen. Sein eigentlicher Name war Fischel Blau – die deutsche Übersetzung von Pisculus Caerulus.
    »
Gratulatio,
Lukas!«, rief Fischel noch einmal. »Ich hatte soeben das Vergnügen, die letzten Sätze unseres hochverehrten Herrn Professors durch den Fensterspalt mit anzuhören und stimme voll und ganz mit ihm überein: »Glück ist nur ein Name, ein
nomen,
ein Abstraktum, eine Buchstabenfolge aus G-l-ü-c-k, die für jeden anderen Begriff stehen könnte, wenn die Erfinder des Alphabets es so gewollt hätten.«
    »Mein lieber Pisculus!« Wentz zog die buschigen Augenbrauen hoch. Sein gütiges Gesicht wirkte nicht mehr ganz so gütig. »Wenn ich nun fortfahren dürfte …«
    »Aber selbstverständlich, Herr Professor! Ich habe mir nur erlaubt, ganz Eurer Meinung zu sein. Lasst mich für Euch ergänzen: Wenn Glück nur eine Buchstabenfolge ist, die für jeden anderen Begriff stehen kann, dann könnte Glück auch Pech bedeuten. Oder Dienstag. Oder Wassermelone. Habe ich recht?«
    »Pisculus, bitte!«
    »Verzeihung, Herr Professor, nur diesen einen Satz noch.« Fischel schaute mich spitzbübisch an und sprach mit einigem Pathos: »Glück
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