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Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Titel: Der Mann ohne Vergangenheit
Autoren: Charles L Harness
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vor dem Spiegel und kämmte sich ruhig das schwarze Haar. Im Schein der Toilettenlampe strahlten die langen Strähnen ganz rein und schimmerten in blauen Spiegelungen. Fülle und Reichtum ihres Haares waren ein auffallender Rahmen für ihr Gesicht und betonten das Weiß von Haut, Wangen und Lippen, die nur eine schwach rosa Färbung hatten. Es war ein Gesicht, so ruhig und kalt, wie ihr Haar lebte und warm war. Die Augen jedoch waren ganz anders. Sie waren groß und schwarz und verliehen dem Gesicht Leben, das dadurch mit dem Haar harmonisierte. Auch sie funkelten im Lampenschein. Die Augen konnte sie nicht so dämpfen wie ihr Gesicht. Sie konnte sie nur zum Teil maskieren, indem sie die dunklen Wimpern gesenkt hielt. Jetzt waren ihre Augen so. Des Mannes wegen, der hinter ihr stand.
    „Es wird dich vielleicht interessieren, das neueste Angebot zu erfahren“, sagte Haze-Gaunt. Er spielte scheinbar müßig mit der Smaragdquassel auf der Toilettenlampe, aber sie wußte, daß alle seine Sinne angespannt waren, damit ihm nicht die geringste Reaktion entging. „Shey hat mir gestern zwei Milliarden für dich geboten.“
    Vor ein paar Jahren hätte es sie vielleicht geschüttelt. Jetzt aber … Sie bürstete weiterhin mit langen, gleichmäßigen Strichen ihr schwarzes Haar, und ihre ruhigen schwarzen Augen suchten im Toilettenspiegel sein Gesicht.
    Das Gesicht des Kanzlers des Kaiserreichs Amerika glich keinem anderen Antlitz dieser Erde. Der Kopf war kahlgeschoren, aber der Haaransatz enthüllte eine breite, hohe Stirn, unter der harte, intelligente Augen versenkt lagen. Die Adlernase wies eine leichte Unregelmäßigkeit auf, als sei sie einst gebrochen ‚und neu eingerenkt worden.
    Der Mann hatte breite Wangen, aber das Fleisch umspannte die Knochen knapp, war mager und narbenlos, mit Ausnahme eines kaum sichtbaren Wundmals über dem kantigen Kinn. Sie kannte seine Einstellung zum Zweikampf. Feinde waren möglichst sauber und ohne unnötiges Risiko einzugehen von Spezialisten dieser Kunst zu beseitigen. Er war mutig, aber nicht naiv.
    Den Mund hätte man, entschied sie, bei einem anderen als entschlossen bezeichnen müssen, aber im Vergleich zu den benachbarten Zügen machte er den Eindruck des Launischen. Er verriet den Mann, der alles – und nichts – hatte.
    Das Bemerkenswerteste an ihm war jedoch das winzige, großäugige affenähnliche Wesen, das sich in ewiger Furcht auf der Schulter des Mannes zusammenduckte und das alles Gesprochene zu verstehen schien.
    Ohne zu lächeln fragte Haze-Gaunt: „Du bist nicht interessiert?“ Er hob mit einer unbewußten Geste die Hand und streichelte sein zusammenzuckendes Schoßtierchen.
    Er lächelte nie. Nur ein paarmal hatte sie ihn die Stirn runzeln sehen. Eine eiserne Disziplin verteidigte sein Gesicht gegen Regungen, die er als puerile Gefühlsduseleien empfand. Und dennoch gelang es ihm nie, seine Gefühle vor ihr zu verbergen.
    „Natürlich bin ich interessiert, Bern. Hast du bereits eine bindende Vereinbarung, die über mich verfügt, abgeschlossen?“
    Falls ihn das abstieß, gab es dafür kein anderes Anzeichen als eine unmerkliche Verhärtung der Kiefermuskeln.
    Sie wußte jedoch, daß er liebend gern die juwelenbesetzte Quaste aus dem umrahmten Feld losgerissen und durch das ganze Zimmer geschleudert hätte.
    Sie fuhr fort, sich in ungestörter Stille das Haar zu kämmen, und ihre ausdruckslosen Augen blickten ruhig auf seine im Toilettentischchen gespiegelten Augen.
    Er sagte: „Ich höre, daß du heute früh am Morgen auf der Straße einem Mann etwas zugerufen hast, als dich die Sänftensklaven herbrachten.“
    „Ja? Ich erinnere mich nicht. Vielleicht war ich betrunken.“
    „Eines Tages“, murmelte er, „verkaufe ich dich wirklich an Shey. Er liebt die Experimente. Ich frage mich, was er mit dir anfangen würde …“
    „Verkaufe mich doch, wenn du mich verkaufen willst.“
    Er verzog kaum den Mund. „Noch nicht. Du bist schließlich meine Frau.“ Er sagte es gefühllos, aber in den Lippenwinkeln schwebte die leise Spur eines Hohnlächelns.
    „Bin ich das?“ Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und erblickte im Spiegel den sich vertiefenden rosa Schatten, der von den Wangen bis zu den Ohren schoß. „Ich glaubte immer, ich sei deine Sklavin.“
    Die Augen Haze-Gaunts flackerten im Spiegel. Er hatte bemerkt, wie sich ihre Haut rötete, und sie ärgerte sich heimlich, daß er es bemerkt hatte. So sahen die Augenblicke seiner Genugtuung gegen
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